Europas Rechtspopulisten sind im Aufwind, was vor allem bei den europäischen Eliten für Unruhe sorgt. José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, sprach das Problem in einer Grundsatzrede vor dem Europäischen Parlament Ende September 2011 direkt an: „Populistische Bewegungen stellen die größten Errungenschaften der Europäischen Union in Frage – den Euro, den Binnenmarkt, ja sogar den freien Personenverkehr.“1
Man sorgt sich, dass vor allem rechts- und inzwischen auch linkspopulistische Parteien die Krisengewinnler sind: Sie erringen immer wieder Wahlerfolge auf nationaler Ebene;2 mit den „Schwedendemokraten“ und den „Wahren Finnen“ zogen neue Herausfordererparteien in das schwedische bzw. finnische Parlament ein.
Populistische Züge weisen die mit einer satten Zweidrittelmehrheit ausgestattete Fidesz-Partei von Viktor Orbán in Ungarn sowie in Polen die ebenfalls nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ auf. Bei der Parlamentswahl in Polen im Oktober 2011 kam die nach ihrem Vorsitzenden benannte antikonservative „Palikota“ auf 10,1 Prozent. In der Slowakei errang im März vergangenen Jahres die antielitäre „Partei der gewöhnlichen Leute und unabhängigen Personen“ einen Stimmenanteil von 8,6 Prozent. In Litauen kam die Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ von Rolandas Paksas im Oktober 2012 auf 7,8 Prozent. Sie ist als Juniorpartnerin an der sozialdemokratisch geführten Regierung beteiligt. In Deutschland zog die eher linksalternative Piratenpartei, die einen Neuansatz von „digitalisierter Politik in Echtzeit“ verfolgt, in zahlreiche Landesparlamente ein.
Keine populistische Internationale
Schillernde Figuren wie in Italien der Komiker Beppe Grillo drängen in die Politik und haben zumindest kurzzeitig Erfolg. Weil diese Herausforderer aber so heterogen in ihren Persönlichkeiten sind, wird es wohl nicht zu einer populistischen Internationalen, nach den Wahlen 2014 wohl aber zum Einzug zahlreicher populistischer und oft antieuropäischer Parteien in das Europäische Parlament kommen.3
Neben dem Rechtspopulismus, der sich besonders auf eine vermeintliche kulturelle „Zersetzung“ durch die Globalisierung konzentriert, ist in vielen Ländern auch eine linkspopulistische Variante entstanden: Sie zielt auf die durch die Globalisierung entstandenen sozialen Ungerechtigkeiten ab.4 Beide verbindet die Frontstellung gegen Eliten, beide geben vor, eine „schmutzige Wahrheit“ ans Licht zu holen.
Beim Rechtspopulismus kommt neben dem vertikalen Moment („wir“ gegen „die da oben“) das horizontale Moment hinzu, nämlich das „wir“ gegen „die da draußen“, also Immigranten oder andere Gruppierungen, die nicht als „zugehörig“ betrachtet werden. Linkspopulisten wie die Occupy-Bewegung richten sich häufig gegen „die“ Kapitalisten, ihr Slogan: „Wir sind 99 gegen 1 Prozent.“
Die Gemeinsamkeit von Rechts- und Linkspopulismus liegt nicht auf der rational-programmatischen, sondern auf der emotionalen Ebene. Was die globalisierungskritische Bewegung verbindet, sind Angst vor Identitätsverlust und Empörung über soziale Ungerechtigkeiten. Linkspopulistische Bewegungen nutzen sozioökonomische, nicht ethnisch-kulturelle Definitionsmerkmale, um das „Eigene“ vom „Anderen“ zu trennen. Beide Formen des Populismus eint jedoch die rigide Ausschließung der verschiedenen definierten „anderen“ von der Wir-Gruppe, also vom „Volk“. Rechts- wie Linkspopulisten schüren die Illusion einer intakten Welt, die vor globalen Wirtschaftszyklen geschützt werden kann.
Populismus als Geschäftsmodell
Es fällt auf, dass die Köpfe populistischer Bewegungen wie Mogens Glistrup in Dänemark, Silvio Berlusconi in Italien, Christoph Blocher in der Schweiz, einst Jörg Haider und nun Frank Stronach in Österreich oder Janusz Palikot in Polen oft über ein beträchtliches Vermögen verfügen. Populismus wird als vermeintliche Politik für den „kleinen Mann“ so auch zum Geschäftsmodell. Eigentlich ist es ein Kennzeichen wenig konsolidierter Demokratien bzw. autoritärer Systeme, dass sich schwerreiche Geschäftsmänner den Zugang zur Politik „erkaufen“. Besonders in den postsowjetischen Staaten wurden Oligarchen in der Transformationsphase zu Profiteuren des Übergangs von der Plan- zu einer Marktwirtschaft. In Georgien gründete der eigentlich eher öffentlichkeitsscheue Milliardär Bidsina Iwanischwili im Dezember 2011 eine Allianz namens „Georgischer Traum“ und wurde nicht einmal ein Jahr später, im Oktober 2012, Regierungschef – wenig überraschend mit dem Versprechen, die Wünsche der Bürger an die da oben zu erfüllen.
Unternehmerpopulismus findet offenbar immer mehr Anklang, weil die Beliebtheit und die Reputation der „Unternehmerpolitiker“ nicht auf persönlicher Integrität, sondern auf ihrer Lebensleistung basiert; nicht auf dem Charakter, wie bei Politikern, sondern auf herausragenden Fähigkeiten.5 Das erklärt auch, warum Unternehmer als Quer- und Seiteneinsteiger dann erfolgreich sein können, wenn der herkömmliche Politikertypus in die Kritik geraten ist (etwa in Italien mit Silvio Berlusconi). Das positive Image erleichtert es, auf Schlagworte statt auf detaillierte Programme zu setzen. Der Unternehmer selbst wird zu einer Marke.
Unternehmer können eine Vertrauensbeziehung aufbauen, die ihren Erfolg in der Geschäftswelt in den Mittelpunkt stellt und dadurch auch Sehnsüchte des „kleinen Mannes“ weckt. Er wirkt durch den Nimbus, „es geschafft“ und sich hoch gearbeitet zu haben. Der „Chef“ muss keine hohen Sympathiewerte aufweisen, denn der Geschäftserfolg stärkt den Mythos, er sei anders als die Politiker. Das begründet sein Charisma unter seinen Anhängern.
Populismus ist in Europa überwiegend negativ konnotiert, schließlich erinnern vor allem rechts- oder nationalpopulistische Parteien an autoritäre Strukturen, die man überwunden glaubte. Den rechts- und nationalpopulistischen Parteien in West- und Osteuropa sind folgende Charakteristika gemein:
• Sie üben harsche Kritik am Modus des Regierens, insbesondere an „Kartellparteien“, die angeblich den Interessen eines als homogen betrachteten „Volkes“ zuwider- handelten.6
• Sie fordern das konsensuale Demokratiemodell heraus wie in Österreich, den Niederlanden, Skandinavien und Polen.
• Sie brechen den proeuropäischen Konsens auf, wie in Finnland, Frankreich, den Niederlanden oder Polen.
• Sie führen einen Antiislamdiskurs, etwa in Frankreich, Belgien und den Niederlanden (nicht aber in Osteuropa).
• Sie zeigen eine feindliche Haltung gegenüber Minderheiten im eigenen Land (in der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Südosteuropa vor allem gegenüber den Roma).
• Sie stilisieren sich als Außenseiter, weil sich etablierte Parteien wie in Frankreich und Belgien mit einem „Cordon sanitaire“ abschotten.
• Sie verschärfen innerstaatliche Konflikte wie in Belgien zwischen Flamen und Wallonen.
In ihrem Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein, trennen Populisten zwischen „Freund“ und „Feind“ – dieser Anspruch dient nicht der Integration, sondern der Exklusion bestimmter Gruppierungen. Nun beruhen offene Gesellschaften darauf, dass ein friedlicher Ausgleich der Interessen hergestellt wird – Populisten setzen da an, wo dieser Interessensausgleich als künstlicher, undurchdringbarer Konsens wahrgenommen wird. Das mag auch positive Wirkungen erzeugen, denn populistische Bewegungen fordern den Gleichklang etablierter Parteien heraus und können, vor allem in Ländern mit strukturellen Krisensymptomen, einen gewissen „Reinigungseffekt“ erzielen.
Ein Funken Wahres
Populisten kommt also auch der Verdienst zu, Missstände anzuprangern, etwa die Korruptionsanfälligkeit der Politik in Italien oder Griechenland. Einen Nährboden findet ein Beppe Grillo ja, weil seine Diagnose – systemimmanente Korruption – richtig ist und er dafür zahlreiche Belege anführen kann. Die Euro-Krise und die Kürzungen haben in zahlreichen Ländern erheblichen Zorn in der Bevölkerung ausgelöst, den populistische Parteien bündeln und kanalisieren. Mitunter sorgen sie damit für eine gewisse Stabilität im jeweiligen Land.
Sicherlich kommen demokratische Parteien in der Mediendemokratie ohne eine gezielte populistische Ansprache an die Wähler nicht aus. Die Frage nach der Grenze zwischen demokratischer und demagogischer Mobilisierung wird immer umstritten bleiben. Gefährlich wird Populismus aber, wenn er undifferenziert eine direkte Demokratie als Allheilmittel propagiert. Schließlich eröffnen Volksentscheide auch die Möglichkeit, latente Vorurteile demagogisch aufzuheizen und durch demokratischen Mehrheitsbeschluss scheinbar legitimieren zu lassen. Das kann leicht und unbemerkt zu einer Missachtung oder Unterdrückung abweichender Meinungen führen.
Gemeinwohl versus Eigenwohl
Populismus gibt vor, einen konstruierten homogenen Volkswillen zu repräsentieren, und er wirft den etablierten Parteien oder gesellschaftlichen Akteuren vor, diesen zu missachten. So polarisiert die Occupy-Bewegung zwischen der Bevölkerungsmasse als In-Group und einer Out-Group. Populismus setzt einem Kollektiv der Wenigen ein Kollektiv der Vielen entgegen.
Häufig geben Populisten auch vor, für eine „saubere“ Politik zu stehen. Doch Populismus befördert Nepotismus und Klientelismus nach dem „Eine Hand wäscht die andere“-Prinzip, wie die Beispiele von Jörg Haider bis Silvio Berlusconi zeigen. Diesen Politikern geht es nicht vorrangig um die Anliegen einer Bevölkerungsgruppe, geschweige denn um das Allgemeinwohl, sondern um ihren persönlichen Erfolg. Die Frage, welchem Adressaten sie überzeugende Rechenschaft erstatten, müssen sie erst noch beantworten. Die simple Berufung auf das „Volk“ reicht jedenfalls nicht aus.
Im Unterschied zu Rechtsextremen lehnen Rechtspopulisten den europäischen Einigungsprozess nicht rundheraus ab. Vorrangig kritisieren sie das „Wie“, nicht das „Ob“. Populisten zielen auf die Widersprüchlichkeiten der EU, wie deren Schwierigkeit, gemeinsame Positionen zu wichtigen außenpolitischen Themen zu finden. Dies zeigte sich in der Debatte um einen Beitritt der Türkei, als Populisten die EU als „christlich-abendländische Festung gegen den Islam“ propagierten. Oder sie machen den freien Warenverkehr im Binnenmarkt für die organisierte Kriminalität verantwortlich. Sie bauen darauf, dass es ein gewaltiges, im Zuge der Euro-Krise noch gestiegenes Potenzial an antieuropäischen Ressentiments gibt, das politisch nutzbar ist. Manche rechtspopulistischen Parteien verhalten sich dabei durchaus ambivalent. In Fragen der Immigrationspolitik wollen sie ein einiges Europa, das Zuwanderern aber verschlossen bleibt. Populisten, die längerfristig „überleben“ wollen, werden sich einer Integration grundsätzlich nicht entgegenstellen. Aber die EU soll für sie nicht Teil der Globalisierung, sondern Bollwerk gegen die Globalisierung sein.
Populismus ist weder ein bloßer Kommunikationsstil (im Sinne von populär) noch eine starre Ideologie (im Sinne von Sozialismus, Liberalismus, Konservatismus oder auch Faschismus). Seine Natur ist mehrschichtig: technisch, als Politikstil im antielitären Gestus; inhaltlich, mit seiner Konzentration auf bestimmte Themen; medial, was Resonanz und Interaktion betrifft, und personell (Bedeutung des Charismas). Er kann eher inklusiv oder exklusiv sein, von „unten“ oder „oben“ getragen und forciert werden. Dass hier eine „Politik des kleinen Mannes“ gemacht würde, behaupten häufig paradoxerweise Repräsentanten des Big Business. Immer intensiver steht Populismus im Zusammenhang mit demokratietheoretischen Debatten über Gegenwart und Zukunft von (repräsentativen) Demokratien.
Weil Populisten Emotionen schüren, Manipulationen nicht scheuen oder auch Ressentiments bemühen, wirken sie nicht nur auf Modernisierungsverlierer. Sie sprechen durch den Rekurs auf ein angeblich homogenes „Volk“ oder durch Personalisierung auch entpolitisierte Bevölkerungsschichten, eine sich ausgeschlossen fühlende große Minderheit oder gar Mehrheit an. Sie wecken Illusionen – wie durch das Versprechen, eine „neue“ Republik errichten zu wollen. Jörg Haider sprach von der Errichtung einer „Dritten Republik“; eine Dritte Republik forderte auch Rolandas Paksas in Litauen; Jarosław Kaczyn´ski in Polen wollte eine „Vierte Republik“. Hier geht es um eine Art „New Deal“, der den Weg in eine korruptionsfreie Republik mit neuen Eliten und größerer Partizipation ebnen soll. Dabei beruhte das System Haider auf Patronage und Nepotismus, und Rolandas Paksas war während seiner Amtszeit als Staatspräsident einem Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt.
Nicht nur Demokratiefeinde
Mit Fug und Recht lässt sich derzeit von einem populistischen Moment sprechen. Das muss aber nicht heißen, dass wir ein postdemokratisches Zeitalter erleben. Populismus wie Autoritarismus oder Extremismus werden eine beständige Herausforderung der Demokratie bleiben. Ihm zu begegnen erfordert mehr Kreativität, als sie ausschließlich zur Bedrohung aufzuwerten und der Demokratiefeindschaft zu bezichtigen. In einer multipolaren Welt kommt es offenbar zu neuen Politikformen. Gerade das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Elite scheint sich neu auszutarieren; die eigentlich als stabil geltenden westlichen repräsentativen Systeme sind unter Druck gesetzt.
Populismus speist sich aus dem geringen Ansehen von Regierungen, Parteien und Berufspolitikern in der Bevölkerung, was nicht nur in fragilen oder defekten Demokratien, etwa in Lateinamerika oder Südostasien, sondern auch in Europa zur zentralen Herausforderung wird. Sich auf eine angebliche postdemokratische Alternativlosigkeit oder Sachzwänge zu berufen, schafft erst einen Nährboden für Populismus. Wer den Populismus entlarven will, muss dessen Fiktion, Politik mit dem „Volk“ unter das „Volk“ zu bringen, ernst nehmen, über neue Partizipationsformen nachdenken und sie behutsam implementieren, ohne dabei die Grundfesten des repräsentativen Systems zu erschüttern oder gar einzureißen.
Dr. Florian Hartleb lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bonn und an der Hochschule für Politik in München. Er ist Research Associate am Centre for European Studies.
- 1Auf Deutsch zu finden unter: http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-11-607_de.htm.
- 2Florian Hartleb: Rechtspopulisten als Krisengewinnler in West- und Osteuropa?, Gesellschaft – Wirtschaft – Politik, 1/2013, S. 69–80.
- 3Florian Hartleb: A Thorn in the Side of European Elites. The New Euroscepticism, Centre for European Studies, Brüssel 2011.
- 4René Cuperus: Der populistische Dammbruch. Die niederländischen Volksparteien unter Druck, in: Friso Wielenga und Florian Hartleb (Hrsg.): Populismus in den Niederlanden und in Deutschland im Vergleich, Münster 2011, S. 163–178.
- 5Catherine Fieschi und Paul Heywood: Trust, Cynicism and Populist Anti-politics, Journal of Political Ideologies, 3/2004, S. 289–309, hier S. 302–304.
- 6Klaus von Beyme: Representative Democracy and the Populist Temptation, in: Sonia Alonso, John Keane und Wolfgang Merkel (Hrsg.): The Future of Representative Democracy, Cambridge 2011, S. 50–73, hier S. 59.