Drei Fragen an...

02. Sep 2024

Drei Fragen an ... Thomas Kleine-Brockhoff

Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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Bild: Porträt von Thomas Kleine-Brockhoff

1. Was sind die größten Herausforderungen der deutschen Außenpolitik?

Die Bundesrepublik ist eine Status-quo-Macht. Seit 1990 leben wir im außenpolitischen Schlaraffenland, also wollen wir am liebsten den Ist-Zustand erhalten – selbst dann, wenn er sich längst überlebt hat. Veränderungen werden oft zu wenig und zu spät akzeptiert. Während wir uns selbst für unsere Veränderungsbereitschaft loben, wächst der Anpassungsdruck weiter; die einst kooperative Weltordnung wird brüchig und kompetitiv. Daraus rechtzeitig die für uns unbequemen Konsequenzen zu ziehen – diese Einsicht bleibt die wichtigste Herausforderung deutscher Außenpolitik. Wer zögert und prokrastiniert, kann international nicht führen.

2. Wie schauen Sie vor dem Hintergrund eines möglichen Trump-2.0-Szenarios auf das transatlantische Verhältnis?

Trumps Wahl hätte ordnungsverändernden Charakter. Sie würde Europa spalten: In jene, die sich aus sicherheitspolitischer Abhängigkeit anpassen und das transatlantische Verhältnis bilateralisieren, in jene, die sich unter dem Schlachtruf der „europäischen Souveränität“ absetzen möchten, und in jene, die Trump aussitzen wollen würden. Die erwachsenste Reaktion der NATO-Europäer wäre, selbständig von der Lastenteilung zur -übertragung überzugehen und dafür einen mittelfristigen Plan vorzulegen, statt sich die Schritte dorthin widerstebend von den USA vorlegen zu lassen. Das gälte auch unter einer Präsidentin Harris.

3. Wie schafft man in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Lage?

Wohl eher: Wie schafft man in der Politik ein Bewusstsein dafür? Denn laut Umfragen weiß eine Bevölkerungsmehrheit genau, was los ist. Es sind vielmehr viele Bundespolitiker, die diesen massiven Stimmungswandel noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheinen. Aus Angst vor den Wählern scheuen sie sich, die Prioritäten den Notwendigkeiten entsprechend umzuordnen. Seit der Zeitenwende-Rede des Kanzlers ist keine einzige Maßnahme auf breiten Protest gestoßen. Selbst die Stationierung weitreichender US-Marschflugkörper in Deutschland löst vor allem unter Parteifunktionären eine Debatte aus, weniger in der Breite der Gesellschaft.

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 8

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Thomas Kleine-Brockhoff Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).