„Dies ist eine Geschichte der Hoffnung“
Er gilt als Neuerfinder der Wiederaufforstung in Afrika, Volker Schlöndorff hat ihm die Dokumentation „Der Waldmacher" gewidmet: Interview mit dem Agrarökonomen Tony Rinaudo.
IP: Herr Rinaudo, in Ihrer Dankesrede zur Verleihung des Alternativen Nobelpreises 2018 haben Sie gesagt, dass die Probleme immer komplexer würden, die Lösungen aber „beschämend einfach“ blieben. Können Sie uns in einfachen Worten erklären, wie Ihre Methode zur Wiederaufforstung von Trockengebieten funktioniert und was sie zur Bewältigung sozialer und ökologischer Probleme beitragen kann?
Tony Rinaudo: Was wir „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR) nennen, beruht auf der Regeneration dessen, was zum großen Teil bereits in und auf der Erde vorhanden ist. In vielen Fällen bedeutet das die Verjüngung von Baumstümpfen, die noch am Leben sind und neu austreiben können. Die Kunst besteht dann darin, die Triebe auszuwählen, die die besten Wachstumschancen haben, um die Konkurrenz untereinander zu verringern. Oft befinden sich auch noch Samen in der Erde, deren Wachstum möglicherweise durch regelmäßiges Abbrennen, durch Überkultivierung, Beweidung oder dergleichen behindert wird. FMNR setzt beim Naturverständnis der Menschen an. Wenn du glaubst, dass ein Baum ein Ärgernis ist, ein Unkraut – wenn das deine Überzeugung ist, wirst du dich danach verhalten. Bei FMNR geht es um das, was Menschen glauben. Wenn du das beeinflussen kannst und sich ihr Verhalten ändert, dann hat die Natur eine Chance, sich zu regenerieren. Das ist ganz einfach, wirklich „beschämend einfach“.
Zu den höchsten Hürden, die Sie in Ihrer Arbeit überwinden mussten, gehörte die Skepsis der Bauern. Ihnen fehlte der Glaube daran, dass eine bessere Gegenwart und eine Zukunft für ihre Gemeinschaft möglich seien. Veränderungen müssen jedoch im Kopf beginnen, bevor sie in Böden gedeihen können. Wie gelingt so eine „Wiederbegrünung der Gedankenwelten“, wie Sie es nennen, in der Praxis?
Anfangs habe ich nur um ein paar Freiwillige geworben, weil meine Ideen wirklich im Widerspruch zu den Traditionen der Bauern standen. Die herrschende Vorstellung war, dass ein guter Bauer ein ordentlicher Bauer ist, das heißt, dass er alles rodet. Es ist sehr schwierig, Menschen dazu zu bekommen, gegen eine solche gesellschaftliche Norm zu handeln. Deswegen habe ich zu den Freiwilligen gesagt: „Ich glaube, dass dies funktionieren wird, ich glaube, dass es Nutzen bringen wird. Möchtet ihr mit mir diesen Weg gehen, nicht mit eurem ganzen Land, aber in einem kleinen Teil davon? Lasst es uns ausprobieren und schauen, was passiert!“
Was war entscheidend, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen?
Wir sind kein großes Risiko eingegangen. Wir sprachen anfangs von einem „Test“ und nicht von der Lösung. Damals habe ich gelernt, dass alle Eltern – und ich habe viele Länder bereist – sich eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder wünschen. Ich habe gefragt: „Wenn wir die Umwelt weiter so zerstören wie bisher, wie wird die Zukunft unserer Kinder aussehen?“ Das ist eine Frage, die die Menschen beunruhigt. Sie beschwören dann alle möglichen Bilder herauf, um zu beschreiben, wie die Zukunft aussehen wird: die „Hölle auf Erden“, „wir werden das Land, das wir lieben, verlassen müssen“ und so weiter. Dann sage ich: „Oh, das ist aber nicht sehr schön, willst du mit auf eine Reise kommen und einen anderen Weg ausprobieren?“ Ich gebe keine Antworten, sondern ich lade Menschen ein, etwas auszuprobieren und die Zukunft zu schaffen, die sie sich wünschen.
Von den Bauern wurden Sie anfangs als der „verrückte weiße Farmer“ betrachtet, später als „Chef-Farmer“. Mit beiden Begriffen verbindet man koloniale und hierarchische Vorstellungen. Wie sind Sie mit den Fallstricken umgegangen, die es mit sich bringt, wenn ein weißer, westlicher, männlicher Experte etwas in einem fremden Land zu bewirken versucht?
Es ist eine weitverbreitete Vorstellung, dass jeder, der weiß und möglicherweise männlich ist und in eine andere Kultur kommt, ein Problem ist. Doch in Wahrheit sind wir alle Menschen, und es gibt kein Schwarz gegen Weiß oder gegen was auch immer für eine Ethnie. Die Probleme, vor denen die Leute stehen, betreffen die gesamte Menschheit. Deswegen geht man als Mensch an die Sache heran und konzentriert sich auf die Beziehungsarbeit, den Aufbau von Vertrauen, den Austausch von Erfahrungen, nicht so sehr auf die Technik. Natürlich sind die technischen Elemente auch wichtig, natürlich braucht man Lösungen, aber vor allem geht es darum, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen. Das ist mein Ansatzpunkt. Das merkt man schon am Namen: Es heißt nicht: „Von Tony geleitete“ oder: „Von der Regierung geleitete“, sondern: „Von Bauern geleitete natürliche Regeneration“. Von Anfang an habe ich versucht, die Menschen zu befähigen, das Projekt selbst in die Hand zu nehmen und so zu gestalten, dass es ihren Bedürfnissen entspricht.
Hat das Projekt auch Ihre Perspektive auf Entwicklungsarbeit geändert?
Der Erfolg, über den Sie lesen können, die fünf Millionen Hektar in Niger und mehr, das ist in Wirklichkeit der Erfolg der Gemeinschaften in der Region und der Erfolg meiner Kollegen. Dabei geht es auch darum, das Bild des weißen oder ausländischen Retters, der auf seinem großen weißen Ross einreitet, infrage zu stellen. Ich habe mich bemüht, die Sprache der Bauern zu lernen, ich habe ihr Essen gegessen, ich habe in ihren Dörfern übernachtet, ich habe mit ihnen in der heißen Sonne geschuftet. Mit dem Bild von Herr und Knecht, das man so gerne beschwört, hat das wenig Ähnlichkeit.
Wie kann der zweite Schritt gelingen, der Übergang vom Glauben an die Möglichkeit von Veränderung hin zur Verwirklichung? Was sind die häufigsten Probleme, die die Umsetzung von FMNR behindern?
Über das erste Problem haben wir schon gesprochen: Was sind die Denkweisen der Menschen, wie sehen die traditionellen Praktiken in Bezug auf Land und Vegetation aus? Solche Denkweisen zu verändern, ist eine große Herausforderung. Ich nenne das „Feinde der Bäume in Freunde der Bäume zu verwandeln“. Tatsächlich ist es so, dass ich 95 Prozent meiner Zeit für die „Wiederbegrünung der Gedankenwelten“ einsetze. Hinzu kommt: Oft und sogar in meiner eigenen Heimat Australien sind es eigentlich gutgemeinte Politiken, die sich als Hemmschuh erweisen. In Niger und in großen Teilen Afrikas haben die Regierungen zum Schutz der Vegetation Gesetze erlassen, nach denen alle Bäume der Regierung gehören. Gut gemeint, aber die Gesetze hatten die gegenteilige Wirkung. Wir haben sehr hart daran gearbeitet, günstige gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Einzelnen und die Gemeinschaft ermutigen, die Landschaft auf nachhaltige Weise zu bewirtschaften und zu pflegen. Ein weiteres Problem sind Partikularinteressen. Womöglich wird das Gemeinschaftsland von den Reichen und Mächtigen für ihre Weidetiere oder für den Anbau genutzt. Wenn nun jemand damit anfängt, Bäume nachhaltig zu bewirtschaften, erhebt er in gewisser Weise Anspruch auf das Land. Damit weckt man manchmal mächtige Kräfte, die diese Veränderung nicht akzeptieren wollen.
Was können internationale Institutionen tun, etwa Nichtregierungsorganisationen, um hier Abhilfe zu schaffen?
Ich meine, dass wir viel durch etwas bewirken können, das man vielleicht „Interessenvertretung“ nennen könnte. Wenn Bauern sich quasi zum Anwalt der Natur erklären, ihr als Freund begegnen, dann wird die Natur ein solches Engagement vielfach zurückzahlen. Mit Sicherheit hilft eine solche Interessenvertretung auch auf der politischen Ebene. Ich bin überzeugt davon, dass Geldgeber, vor allem geldgebende Regierungen, mehr Einfluss haben, als sie selbst glauben. Sie könnten auf respektvolle Weise versuchen, eine Politik zu fördern, die die Umsetzung naturorientierter Lösungen begünstigt. Was den Kampf gegen mächtige Lokalinteressen angeht, bin ich nicht sicher, welchen Rat ich geben kann. Auf jeden Fall braucht es viel Feingefühl.
Inzwischen ist FMNR, dank der Unterstützung durch World Vision, mit Erfolg in 26 vornehmlich afrikanischen Ländern angewendet worden und hat 2,5 Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglicht. Welches weitere Potenzial gibt es, und welche Vorbedingungen müssen erfüllt sein, um FMNR in anderen Regionen umzusetzen?
Die Grundsätze gelten für eine erstaunlich große Vielfalt von Landschaften. Entsprechendes Potenzial habe ich an den Ausläufern des Himalayas, im tropischen Dschungel, in hypertrockenen Regionen des Nahen Ostens und sogar in Mangrovensümpfen in Küstennähe ausgemacht. Die Prinzipien sind sehr breit anwendbar. Ob es ein ursprünglich natürliches Waldgebiet war oder nicht – wenn sich das Verhalten der Menschen in Bezug auf Feuer, Beweidung, Pflügen und das Entfernen von Baum-Biomasse verändert, dann hat das Land eine Chance, sich selbst zu heilen.
Es ist also auch da im Wesentlichen eine Frage der „Wiederbegrünung der Gedankenwelten“?
Genau! Obwohl seit 2018 international einiges getan wurde, wissen viele Regierungen, viele Geldgeber und viele Nichtregierungsorganisationen immer noch nichts über Lösungen wie unsere, die auf der Natur beruhen. Dabei ist das Bewusstsein eine Grundvoraussetzung. Wir stellen ja die grundsätzlichen Überzeugungen von Menschen infrage – all das, womit sie aufgewachsen sind. All das, von dem ihre Eltern und die Gesellschaft ihnen gesagt haben, dass es die richtige Art und Weise sei, das Land und die Natur zu bewirtschaften. Und dann ist natürlich jeder Kontext anders. Ich erfahre Widerstand von Leuten, die sagen: „In einigen Gegenden bei uns dürfen wir gar keine Bäume haben, das ist natürliches Grasland.“ Das kann von Fall zu Fall durchaus stimmen, und deswegen müssen wir immer den Zusammenhang in den Blick nehmen.
Was können Landwirte im Westen von der traditionellen afrikanischen Land- und Forstwirtschaft lernen?
Oft bekomme ich von afrikanischen Bauern zu hören: „Tony, du bist grausam, erwartest du, dass ich einen Teil meines Landes aufgebe, damit darauf Bäume wachsen? Ich bin arm, ich habe oft Hunger – wie kannst du so etwas tun?“ Ich halte dann in respektvollem Ton dagegen und sage: „Hier geht es nicht darum, etwas aufzugeben, hier geht es ums Investieren und um den Nutzen, den du aus vielen Faktoren gewinnst – ein besseres Mikroklima, fruchtbareren Boden, Blütenbefruchtung und natürliche Schädlingsbekämpfung, den Wasserkreislauf – das ist eine gute Investition!“ Nach meiner Einschätzung gilt das auch für westliche Länder. Natürlich muss man unsere Methode immer wieder anpassen, weil hierzulande die Arbeitskosten hoch sind. Wir sind hochtechnisiert, hier wird es nicht genauso aussehen. Aber mein Argument ist dasselbe: Das ist eine Investition, die Dividenden abwerfen wird: weniger Bodenerosion, niedrigere Temperaturen und weniger Wind, bessere Auffüllung des Grundwasserspiegels.
Unter dem Titel „Der Waldmacher“ sind ein Buch und ein Dokumentarfilm über Ihre Arbeit in Afrika erschienen. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen Medien gemacht?
Überwiegend sehr gute. Ich glaube, dass sehr viele Leute an der Gegenwart verzweifeln und nicht an eine bessere Zukunft glauben, und dies ist eine Geschichte der Hoffnung. Die Unwissenheit über Lösungen wie diese ist noch immer sehr groß. Das darf nicht so bleiben. Deswegen war ich froh – auch wenn das eigenartig klingt –, dass Corona mir die Möglichkeit gegeben hat, meine Biografie zu schreiben. Ich konnte nicht reisen, und dieses Buch hat viel bewirkt, um Bewusstsein zu schaffen und den Menschen Hoffnung einzuflößen: Ja, es gibt etwas, das wir tun können! Mit dem Film habe ich weniger Erfahrungen, aber ich weiß, dass er in Deutschland in mehr als 30 Kinos gezeigt wurde. Womöglich haben sich im Internetzeitalter mehr als 40 000 Menschen aufgemacht, um einen solchen Dokumentarfilm im Kino zu sehen! Und durch die Filmvorführungen und das Buch bekomme ich mehr Einladungen, vor einem breiteren Publikum zu sprechen – Podcasts, Fernsehen, in Fachzeitschriften. Das ist sehr, sehr positiv.
Das Gespräch führten Martin Bialecki, Alina-Sophie Ober, Joachim Staron und Kira Vinke.
Aus dem Englischen von Bettina Vestring
Internationale Politik Special 5, September 2022, S. 54-58