IP Wirtschaft

01. März 2020

Visegrád-Wirtschaftsknigge

Was sind die wichtigsten Handelspartner und -produkte Polens, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns? Was sollten deutsche Unternehmen beachten, die dort investieren wollen? Antworten aus Warschau, Bratislava, Prag und Budapest.

Polen

Dr. Lars Björn Gutheil Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsch- Polnische Industrie- und Handelskammer, Warschau

Polen handelt hauptsächlich mit den Märkten der EU. Der mit Abstand größte Handelspartner ist Deutschland: Laut polnischem Statistikamt ist der deutsche Markt für rund 28 Prozent der polnischen Exporte und für 23 Prozente der Importe verantwortlich. Als Exportmärkte folgen Tschechien, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, die allesamt zwischen 5 und 7 Prozent der polnischen Ausfuhren liegen. Die wichtigsten Importpartner Polens nach Deutschland sind China, Russland, Italien, Frankreich und die Niederlande. Polen richtet immer mehr Aktivitäten auf neue Exportmärkte aus, etwa in Asien oder Afrika. Dennoch wird hier die EU auf absehbare Zeit zentral bleiben.

Nach Deutschland exportiert Polen vor allem Fahrzeuge und Kfz-Teile, Maschinen und chemische Produkte. Daneben kommt Möbeln und Nahrungsmitteln eine wichtige Bedeutung zu. Und schon jetzt machen Dienstleistungen bei Bewertung auf Basis der Wertschöpfungsmethode mehr als die Hälfte aller polnischen Exporte nach Deutschland aus. Das Volumen des deutsch-polnischen Handels lag 2018 bei knapp 120 Milliarden Euro. Für 2019 sind 125 Milliarden Euro prognostiziert. Und: Polen ist der sechstwichtigste deutsche Handelspartner.

Auch als größter ausländischer Direktinvestor (35 Milliarden Euro) nimmt Deutschland eine herausragende Stellung ein. Über 4900 deutsche Firmen sind in Polen tätig und beschäftigen insgesamt mehr als 390 000 Menschen. Vor allem im Gebiet zwischen Danzig und Kattowitz haben sich deutsche Unternehmen der industriellen Fertigung und Verarbeitung angesiedelt, die sich auf die Felder Automobile, Maschinen, Chemie und Pharma konzentrieren. Auch bei Dienstleistungen, im Handel sowie in der Energieversorgung zeigen deutsche Investoren Präsenz.

Für Unternehmer aus Deutschland bietet Polen nach wie vor großes Potenzial: Es gelten europäische Regeln, die Entfernungen sind gering, die Infrastruktur bestens ausgebaut, und regional ist noch immer qualifiziertes Personal zu finden. Potenziale sehe ich vor allem bei Industrie-4.0-Lösungen, E-Mobilität, Digitalisierung, im Gesundheitswesen, Umweltschutz und mittelfristig auch bei erneuerbaren Energien.

Umgekehrt gibt es auf dem deutschen Markt über 1000 polnische Firmen – überwiegend kleinere Dienstleister. Bekannte polnische Marken sind der Kraftstoffversorger Orlen, der Möbelkonzern Nowy Styl oder der IT-Anbieter Asseco, der mit Betrieben in über 50 Ländern aktiv ist.

Daneben stammen immer mehr polnische Investoren aus der lebhaften IT-Start-up-Szene des Landes, insbesondere aus den Feldern Digital Health, Smart Home, Fintech, Gaming und Software as a Service (SaaS). •

 

Slowakei

Peter Kompalla Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsch-Slowakische Industrie- und Handelskammer, Bratislava

Das Rückgrat des verarbeitenden Gewerbes bildet in der Slowakei die Automobilindustrie. Entsprechend sind hier zahlreiche Zulieferer aus der gesamten Wertschöpfungskette angesiedelt. Davon profitieren anliegende Branchen wie Maschinenbau, Elektroindustrie, Metallgewerbe oder Kunststoffverarbeitung.

In den internationalen Handel ist das Land dermaßen eng eingebunden, dass sich das Volumen an Ein- und Ausfuhren auf stolze 175 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts summiert. Die wichtigste Zielregion für den slowakischen Außenhandel ist die Europäische Union.

Wie für alle V4-Staaten ist Deutschland auch für die Slowakei der mit Abstand wichtigste Handelspartner. So haben die slowakischen Importe aus Deutschland von 2012 bis 2018 um ein Drittel zugelegt, während das Ausfuhrvolumen im gleichen Zeitraum um knapp 40 Prozent gestiegen ist. Der Handel konzentriert sich größtenteils auf die Sektoren Automobil-, Maschinenbau- und Elektroindustrie. Mit einem bilateralen Handelsvolumen von mehr als 30 Milliarden Euro gehört die Slowakei zu den TOP20-Außenhandelspartnern Deutschlands.

Jüngst hat der konjunkturelle Gegenwind für eine Delle bei den deutschen Ausfuhren in die Slowakei gesorgt. Erstmals seit 2009 importierte die Slowakei von Januar bis Oktober 2019 weniger aus Deutschland als in der Vorjahresperiode. Bei den slowakischen Exporten nach Deutschland war dagegen eine leichte Steigerung zu verzeichnen. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen im Welthandel erwartet die Slowakische Nationalbank, dass der Außenhandel der Slowakei 2020 um 2 bis 3 Prozent steigen wird.

Rund 600 deutsche Unternehmen haben in der Slowakei investiert. Sie sind in vielen Wirtschaftszweigen präsent – vom Fahrzeugbau und Energiesektor bis hin zur Softwareentwicklung und Logistik. Laut Angaben der Deutschen Bundesbank beschäftigen die Firmen 140 000 Mitarbeiter im Land. Zu den größten Investoren gehören Volkswagen, Siemens, Schaeffler, Continental, Allianz und Deutsche Telekom. Eine starke Position haben deutsche Unternehmen zudem im Einzelhandel (Metro, Schwarz, Rewe) und in der Elektronikindustrie.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die größte Investitionsdynamik von Unternehmen ausgeht, die bereits in der Slowakei ansässig sind und expandieren möchten. Impulsgeber ist auch hier die Autoindustrie. So weitet Volkswagen Slovakia seine Produktion von Elektroautos aus. Porsche Werkzeugbau plant ein Technologiezentrum für robotisierte Fertigungslinien. Die Messer Group will Argon aus den Emissionen der Ammoniakfertigung in Šaľa erzeugen. Der Zulieferer FTE automotive hat Investitionsbeihilfen für den Bau eines Technologiezentrums an seinem Standort in Prešov beantragt.

Aufgrund des gemeinsamen Wirtschaftsraums und der einheitlichen Währung erscheint die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen im Land sehr einfach. Dennoch tun sich trotz harmonisierter EU-Standards immer wieder rechtliche und steuerliche Stolperfallen auf. Auch die scheinbar große kulturelle Nähe verleitet deutsche Geschäftsleute häufig dazu, die existierenden Unterschiede in der Mentalität zu übersehen. Dazu gehört insbesondere die höhere Gewichtung persönlicher Beziehungen.

Umgekehrt wird Deutschland als Zielmarkt für slowakische Unternehmen immer wichtiger. Mit dem Eisenbahnbauer Tatravagónka, dem Sicherheitssoftwarespezialisten Eset, dem Anlagenbauer Microstep oder dem technischen Konstrukteur Lumaco haben große und mittelständische Investoren aus der Slowakei echte Erfolgsgeschichten in Deutschland geschrieben. •

 

Tschechien

Bernard Bauer Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer, Prag

Ein 125-jähriges Jubiläum wird in diesem Jahr in Tschechien begangen: Škoda feiert Geburtstag – nicht nur das größte Unternehmen im Land, sondern auch die bekannteste tschechische Marke neben Pilsner Urquell.

Auch in Tschechien spielt die Automobilindustrie eine entscheidende Rolle – ist man doch der zweitgrößte Pkw-Hersteller pro Kopf weltweit –, und auch hier ist Deutschland der wichtigste Handelspartner. Im Jahr 2018 lag der Anteil deutscher Importe bei rund 25 Prozent, bei den Exporten nach Deutschland waren es 32,4 Prozent. Die Slowakei, China, Polen, Frankreich und Großbritannien sind weitere wichtige Handelspartner.

Auch für Deutschland gewinnt Tschechien immer mehr an Bedeutung. Das Land befindet sich unter den Top 10 der Handelspartner, beim Import liegt man sogar auf Platz 7. Das bilaterale Handelsvolumen ist seit 1993 fast durchgehend auf Wachstumskurs und beinahe um das 13-Fache gestiegen. Tschechien hat eine positive Handelsbilanz mit Deutschland. Auch 2018 war trotz einer Verlangsamung der Dynamik wieder ein Rekordjahr mit einem Handelsvolumen von 92 Milliarden Euro. Künftig erwarten wir für die bilateralen Handelsbeziehungen eine positive, aber weniger schwungvolle Entwicklung. 2019 hatten wir von Januar bis Oktober ein Wachstum von 2,1 Prozent, 2017 waren es noch 7 Prozent.

Einige Sorgen bereitet derzeit der deutsch-tschechische Wirtschaftsmotor, die Automobilindustrie. Das klassische Auto reicht als Produkt nicht mehr aus; „Mobility as a service“ heißt die neue Zauberformel. Allerdings hat sich die Branchenstruktur der deutschen Investoren über die Jahre ohnehin wesentlich vielfältiger gestaltet. Sie reicht von Logistikunternehmen und Maschinenbauern über Chemiekonzerne und Lebensmittelketten bis hin zu IT-Firmen und Anwaltskanzleien aller Betriebsgrößen.

Schätzungsweise bis zu 6000 deutsche Unternehmen operieren in Tschechien. Nach den Niederlanden ist Deutschland mit einem Anteil von rund 14 Prozent der zweitgrößte Auslandsinvestor. Allein 2018 flossen von Deutschland nach Tschechien Direktinvestitionen im Wert von 2,4 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass deutsche Unternehmen ihre Gewinne in Tschechien stark reinvestieren – in Modernisierung, in Forschung und Entwicklung, in Weiterbildung. Das deckt sich mit der Innovationsstrategie der tschechischen Regierung, die Investitionen mit höherem Mehrwert finanziell fördern will. Als Branchen mit viel Potenzial gelten die Energie- und Wasserwirtschaft, die Umwelttechnik, die Elektromobilität, der Immobiliensektor und die Automatisierung.

Tschechien streift immer mehr den Ruf als billige „verlängerte Werkbank“ ab. Die Löhne sind enorm gestiegen, 2019 um 7,5 Prozent. In der jährlichen Konjunkturumfrage der AHK Prag wählen die Investoren aus 15 MOE-Ländern Tschechien seit Jahren zum attraktivsten Investitionsstandort – auch wenn man die Spitzenposition 2019 knapp an Estland verlor.

Und: Das Kapital fließt längst nicht mehr nur von West nach Ost. Die Tschechen entdecken Deutschland verstärkt als Investitionsstandort und Absatzmarkt. Laut Schätzungen sind in Deutschland rund 150 tschechische Unternehmen angesiedelt – etwa der Innovationsberater CreativeDock (München) oder der App-Entwickler Ackee in Berlin, der Lösungen für den Bundestag liefert. Der Nettobestand an tschechischen Direktinvestitionen belief sich Ende 2017 auf 6,2 Milliarden Euro. Damit überholen sie russisches Engagement und lassen Polen weit hinter sich. Besonders interessante Branchen für tschechische Investoren sind Energie, Chemie sowie Lebensmittelproduktion und -handel. •

 

Ungarn

Gabriel A. Brennauer Geschäftsführender Vorstand Deutsch- Ungarische Industrie- und Handelskammer, Budapest

In kaum einem anderen EU-Land trägt die Industrie einen so großen Teil zur Wirtschaftsleistung bei wie in Ungarn. Wichtigste Branchen sind der Fahrzeugbau, Chemie und Elektrotechnik. Da die Unternehmen eng in internationale Wertschöpfungsketten integriert sind, spiegelt sich die Produktionsstruktur auch im Außenhandel wider. Rund ein Sechstel aller Exporte entfällt auf die Automobilindustrie, etwa 40 Prozent auf Maschinenbau und die Elektroindustrie. Wichtigster Handelspartner ist die EU: Fast 80 Prozent des Außenhandels werden innerhalb der Union abgewickelt, allein mit Deutschland mehr als ein Viertel. In den vergangenen Jahren sind aber auch die Länder Mittel- und Osteuropas immer wichtiger für Ungarns Wirtschaft geworden.

Schon vor der Wiedervereinigung gehörten die beiden deutschen Staaten zu den wichtigsten Handelspartnern Ungarns, seit 1990 hat sich der Warenaustausch vervielfacht. Für die Ein- und Ausfuhren des gesamten Jahres 1990 – 3,1 Milliarden Euro – genügen heute drei Wochen; insgesamt werden jährlich Waren im Wert von rund 57 Milliarden Euro ausgetauscht. Rund zwei Drittel des Handels bestreiten der Maschinen- und Fahrzeugbau und die Elektroindustrie. Viele Produktionsstandorte in Ungarn spielen eine strategisch wichtige Rolle in den internationalen Lieferketten.

Deutsche Unternehmen sind nicht nur als Handelspartner, sondern auch als Investoren von herausragender Bedeutung für das Land. Bis heute haben sie knapp 20 Milliarden Euro in Ungarn investiert und damit über 200 000 Arbeitsplätze geschaffen. Besonders intensiv ist die Zusammenarbeit im Fahrzeug- und Maschinenbau, aber auch in der Telekommunikation, im Energiesektor oder Einzelhandel sind deutsche Firmen stark präsent. Neben namhaften Großunternehmen von A wie Audi bis Z wie ZF sind auch fast 3000 kleinere und mittelständische Unternehmen vertreten. Im verarbeitenden Gewerbe schaffen die deutschen Unternehmen hochwertige Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung, was zur Stärkung des Standorts beiträgt.

Deutsche Unternehmen finden heute in vielen Sektoren attraktive Standortbedingungen vor – das bestätigen die regelmäßigen Umfragen der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer. Für Investitionen im Land sprechen mehrere Faktoren, etwa die gute Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, die geografische Nähe zu den industriellen Ballungszentren in Süddeutschland und generell in Zentraleuropa, vorteilhafte steuerliche Bedingungen oder Fördermöglichkeiten aus EU-Mitteln und staatlichen ungarischen Quellen.

Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass Ungarn kein Billiglohn-Land mehr ist – und das auch nicht mehr sein will. Die Arbeitnehmer haben ein hohes Qualifikationsniveau, dementsprechend steigen auch die Lohnkosten. Mittelfristig werden allerdings die Lohnkosten weiterhin ein Standortvorteil sein: Derzeit liegen Ungarns Arbeitskosten noch bei weniger als 30 Prozent des durchschnittlichen deutschen Niveaus. Und schließlich sollten sich Investoren darauf einstellen, dass auch in Ungarn in einigen Sektoren ein spürbarer Fachkräftemangel herrscht. Daher sollten die Unternehmen sich frühzeitig um eigene Ausbildungsaktivitäten kümmern und dabei mit den Bildungsträgern und Behörden vor Ort eng zusammenarbeiten.

Investitionen ungarischer Firmen in Deutschland haben noch keinen nennenswerten Umfang erreicht. Viele ungarische Firmen sind aber in Deutschland mit kleineren Niederlassungen vertreten, die in erster Linie Vertriebs-, Service- und Supporttätigkeiten wahrnehmen oder an Bau- und Montageprojekten beteiligt sind. •

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Wirtschaft 1, März - Juni 2020, S. 52-55

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