IP

01. Jan. 2017

Trumps erste Amtszeit

Das Programm des neuen Präsidenten steht schon lange fest

Vielleicht war Donald Trump selbst von seinem Wahlsieg überrascht. Nicht aber sein Team. Das hat sich schon lange vor dem 8. November auf ein Programm für die ersten Tage im Weißen Haus verständigt. Dutzende von Gesprächen mit der Trump-Truppe legen nahe: Präsident Trump wird sich nicht wesentlich vom Kandidaten Trump unterscheiden.

Am Morgen des 20. Januar 2017 wird Donald Trump, gewählter Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama im Weißen Haus treffen. Der scheidende und der zukünftige Präsident werden dann in einer Limousine – Obama auf der rechten, sein Nachfolger auf der linken Seite des Rücksitzes – zum Kapitol chauffiert, auf dessen Vorplatz um Punkt zwölf Uhr mittags die Amtseinführung Donald P. Trumps stattfindet.

An diesem 20. Januar wird der neue Präsident 70 Jahre und sieben Monate alt sein und damit ein halbes Jahr älter als Ronald Reagan, bis dato der bei Amtsantritt älteste Präsident der USA. Trumps bizarrer Wahlkampf, der sich durch geradezu obsessiv ausgetragene Kämpfe mit politischen Gegnern, krude Beleidigungen und ein erschütternd ungeniertes Verhältnis zu Lügen auszeichnete, hat so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass völlig aus dem Blick geriet, wie Trump und dessen Team ihren Marsch ins Weiße Haus organisiert haben. Dabei zogen erste Mitglieder aus Trumps Übergangsteam schon am 1. August in einen dreizehnstöckigen Bürokomplex mit der Adresse 1717 Pennsylvania Avenue, wenige Blocks vom Weißen Haus entfernt. Von diesem Tag an bereitete das Trump-Team auch das vor, was ein Trump nahestehender Republikaner das „Projekt des ersten Tages“ nannte: „Er wird einige Stunden lang Papiere unterzeichnen – und damit das Vermächtnis der Obama-Präsidentschaft auslöschen.“

Laut Stephen Moore, Berater der Trump-Kampagne und Senior Fellow der Heritage Foundation, wolle man „etwa 25 Exekutiverlasse erarbeiten, die Trump am ersten Amtstag unterzeichnen könnte“. Vorbild für ein solches Vorgehen ist Ronald Reagan, der eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen, die Deregulierung des Energiemarkts, bereits in der ersten Amtswoche in die Tat umsetzte. Trumps Mitarbeiter suchen gezielt nach „executive orders“, die von Präsident Obama erlassen wurden und wiederum per Exekutiverlass des nachfolgenden Präsidenten rückgängig gemacht werden können. „Die Demokraten haben das nie wirklich begriffen“, meint Moore. „Wenn man mithilfe von Exekutiverlassen regiert, dann können diese Erlasse vom nächsten Präsidenten widerrufen werden.“ Bereits an seinem ersten Arbeitstag als Präsident wird sich Donald Trump seinem zentralsten Wahlversprechen widmen und eine radikal neue Einwanderungspolitik in Gang setzen. „Jeder, der auf illegalem Wege in die USA gekommen ist, wird abgeschoben“, sagte Trump im August während einer Rede in Phoenix, Arizona.

Über Monate hinweg führte ich Gespräche mit Experten, Wahlkampfberatern, Trump-Vertrauten, ehemaligen Mitarbeitern von fünf republikanischen Regierungen, Ökonomen, Militärstrategen, Historikern, Juristen und politischen Persönlichkeiten aus Europa, Asien und Südamerika, um ein Bild einer ersten Amtszeit Donald Trumps zu gewinnen. Er hat äußerst unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Ideen geäußert und sie oft auch schnell wieder verworfen: Lehrer sollten bewaffnet, H-1B-Visa zur Beschäftigung qualifizierter ausländischer Arbeitnehmer abgeschafft und Muslime von der Einreise in die USA abgehalten werden. „Alles ist verhandelbar“, so Trump. Manche, wie Randall Schweller, Politikwissenschaftler der Ohio State University, glauben, dass der neue Präsident nicht nur vom politischen Alltag und von verfassungsrechtlichen Barrieren „eingehegt“ würde, sondern dass er sogar der „richtige Mann“ sei. Jemand, der nicht perfekt, aber anders sei und deshalb gut für ein „zu eingerostetes Washington“.

Viele Republikaner gehen davon aus, dass Trump einen Teil seiner Kernversprechen nicht einlösen wird. Laut einer Quinnipiac-Umfrage, die im Juni 2016 durchgeführt wurde, also zwölf Monate, nachdem Trump erstmals versicherte, eine „große, wunderschöne, starke Mauer“ an der Grenze zu Mexiko zu errichten, glauben nur 42 Prozent der befragten Republikaner an eine Umsetzung dieser Pläne. Doch Wahlkampagnen sind oftmals überraschend akkurate Programmvorschauen für die folgenden Präsidentschaften. 1984 untersuchte der Politologe Michael Krukones die Liste der Wahlversprechen von Präsidenten von Woodrow Wilson bis Jimmy Carter. Insgesamt 73 Prozent der im Wahlkampf gemachten Versprechen, so fand er heraus, wurden auch umgesetzt. Die Betreiber der überparteilichen Website PolitiFact widmeten sich vor Kurzem den mehr als 500 Wahlversprechen Barack Obamas und kamen – zum Erstaunen aller Obama-Skeptiker – zu dem Ergebnis, er habe mindestens in 70 Prozent der Fälle Wort gehalten.

Während seiner gesamten Wahlkampagne ist Trump nie von drei Kernaussagen abgewichen: Die USA engagieren sich zu stark als Weltpolizei, leiden unter bestehenden Handelsabkommen und werden von unbegrenzter Einwanderung bedroht. Er mag während des Wahlkampfs wiederholt ausgewichen sein und Ideen verworfen haben. Aber am Ende entfernt er sich nicht allzu weit von seinen grundlegenden Positionen. Roger Stone, langjähriger Berater Trumps, ist der Überzeugung, dass es ein Fehler sei zu glauben, Trump werde seine radikalsten Ideen nicht umsetzen. „Vielleicht erlauben es ihm die Gerichte letztlich nicht, ein vorübergehendes Einreiseverbot für Muslime durchzusetzen“, sagte Stone. „Schön – dann kann er trotzdem Ägyptern, Syrern, Libyern und Saudis die Einreise verbieten. Er ist ein Pragmatiker im Stile Ronald Reagans.“

Als Präsident hat Trump Tausende Personalentscheidungen zu treffen, ist dabei aber mit einer historisch beispiellosen Situation konfrontiert: Über 100 erfahrene, prominente Republikaner haben öffentlich erklärt, ihn nicht zu unterstützen. Das zwang auch jüngere Politiker, eine Entscheidung zu treffen: Sollten sie Angebote des Trump-Lagers ablehnen oder sich an seiner Regierung beteiligen, um vielleicht mäßigend wirken zu können? Bereits im September interviewten Trump-Mitarbeiter rund 400 Kandidaten, von denen einige auch für das Übergangsteam rekrutiert werden sollten. Ganz schnell kristallisierte sich eine wesentliche Frage heraus, die sich fast alle Kandidaten stellten: Ist Trump ein zähmbarer kleiner Tyrann, eine Art Silvio Berlusconi, oder ein Politiker vom Schlage Benito Mussolinis? Und wenn letzteres zuträfe, wäre er ein Mussolini des Jahres 1933 oder des Jahres 1941?

Zu den Unterzeichnern des Briefes von 50 Republikanern, die Trump unter anderem als den „unbesonnensten Präsidenten in der Geschichte Amerikas“ bezeichneten, gehört auch Michael Chertoff, Justizminister unter George H.W. Bush und Minister für Innere Sicherheit unter George W. Bush. Viele jüngere Republikaner, so Chertoff, seien mit der Frage auf ihn zugekommen, ob ein Wechsel ins Trump-Camp nach der Wahl in der Öffentlichkeit eher als patriotischer Akt denn als politisches Statement betrachtet werden würde. Seine Antwort, erzählte er, sei immer die gleiche gewesen: „Wer es in Betracht zieht, für Trump zu arbeiten, muss sich immer wieder gründlich prüfen, ob er sich nicht in die eigene Tasche lügt.“

Es ist keine politische Ideologie, die Trump zu einer Kandidatur für das Amt des Präsidenten motiviert hat. Insgesamt fünf Mal wechselte er zwischen 1999 und 2012 zwischen den Parteien. Teile der Arbeit der Organisation „Planned Parenthood“, die sich in den Bereichen Sexualmedizin und Geburtenplanung engagiert, unterstützte Trump im Wahlkampf, gleichzeitig ist er gegen Abtreibung; er versprach, für LGBT-Rechte zu kämpfen, lehnt aber die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Trumps unerschütterliches Credo ist „The Art of the Deal“, ein Grundverständnis, das auf dem Gedanken beruht, es käme nur auf das „richtige“ Geschäft an. Das ist eine Perversion des klassischen politischen Realismus. In einem solchen Verständnis von „Interessen“ haben Werte oder Überzeugungen keinen Platz.

Bei der Umsetzung seiner Ideen verlässt sich Trump vor allem auf die Hilfe republikanischer Politveteranen. Newt Gingrich, Sprecher des Repräsentantenhauses in den neunziger Jahren und verantwortlich für viele der politischen Taktiken, die zur enormen Polarisierung der US-Politik beigetragen haben, ist einer von Trumps engsten Vertrauten. Gingrich sagte mir, dass er Trump ein von vielen als nebensächlich empfundenes, aber umstrittenes Projekt schmackhaft machen wolle, nämlich die Abschaffung der Verbeamtung auf Lebenszeit in den staatlichen Institutionen. Das Thema ist vielen Republikanern wichtig; ihm Priorität zu verschaffen, könnte dazu beitragen, eine schwer zerfledderte Grand Old Party wieder zusammenzuschweißen.

„Die Erlaubnis zu erwirken, korrupte, inkompetente oder betrügerische Mitarbeiter vor die Tür zu setzen – das wäre die entscheidende Kraftprobe“, erklärte mir Gingrich. Er nehme an, dass dies zu einem „offenen Krieg“ mit der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes führen könnte. Einen Präzedenzfall gibt es bereits. 2011 wollte der Gouverneur von Wisconsin, Scott Walker, die Tarifverhandlungsrechte von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes beschränken. Fünf Monate lang gab es Proteste. Aber nachdem auch der Versuch gescheitert war, den Gouverneur und Mitglieder des Senats von Wisconsin aus dem Amt zu jagen, setzte sich Walker durch. Gingrich geht davon aus, dass diese Strategie auch in Washington Erfolg haben könnte. „Man muss die Verbeamtung auf Lebenszeit abschaffen“, meint er. „Bekommt man das hin, dann wird es die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zerreißen.“

Die – vermeintliche – Kraft der Checks and Balances

Um einen „Caesar, Caligula, Nero oder Domitian“ zu verhindern, hatten die amerikanischen Gründerväter dem Obersten Gerichtshof die Kontrolle über die Verfassung in die Hände gelegt und dem Kongress die Macht, Gesetze zu erlassen. Schon in den dreißiger Jahren, noch mehr aber im Kalten Krieg mit seiner ständigen Bedrohung einer plötzlichen atomaren Attacke, verschob sich das Machtgefüge in Richtung eines stark exekutiven Weißen Hauses. „Das System der Checks and Balances ist nicht verschwunden, aber enorm geschwächt“, meint Eric Posner, Professor für Verfassungsrecht an der University of Chicago. Ein Präsident, der schnell handelt, kann diese Kontrollmechanismen aushebeln. George W. Bush habe dies mit seinem „Krieg gegen den Terror“ getan. „Vieles wurde wieder korrigiert – aber das dauerte sehr lange“, so Posner. Einige der Versprechungen Trumps können in der Tat nicht ohne Zustimmung des Kongresses und der Gerichte umgesetzt werden. Dazu gehören die Aufhebung von Obama-Care, die angekündigten Steuersenkungen oder Änderungen von „Gesetzen gegen Journalisten“, die angeblich nur deren alleinigem Schutz dienten. Dann könne man Journalisten „strafrechtlich verfolgen und sie auf hohe Schadensersatzzahlungen verklagen“. (Es gibt derlei Gesetze nicht. Dafür aber Präzedenzfälle von langen Prozessen und extrem hohen Schadensersatzklagen gegen Medien, die sich wirtschaftlich katastrophal auswirken.) Selbst mit einer Mehrheit im Kongress könnten die Republikaner nicht die notwendigen 60 Stimmen zusammenbringen, um einen „Filibuster“ der Demokraten zu überwinden. (Das Trump-Lager denkt allerdings darüber nach, den „Filibuster“ – das Abwenden einer Mehrheitsentscheidung durch „Dauerreden“ bei gleichzeitigen Kompromissverhandlungen – abzuschaffen.)

Trump könnte viele seiner Ziele aber auch ohne Kongress umsetzen. Als Präsident hat er die alleinige Autorität, das Nuklearabkommen mit dem Iran neu zu verhandeln, ein Einreiseverbot für Muslime zu verhängen und das Justizministerium anzuweisen, gewisse Rechtsverstöße mit höherer Priorität zu verfolgen als andere. Während des Wahlkampfs beschuldigte Trump den Onlinehändler Amazon, sich „steuerlich alles zu erlauben“, und schwor im Falle eines Sieges: „Oh, die werden echte Probleme bekommen.“

All diese Schritte könnten natürlich vor Gericht angefochten werden. Die American Civil Liberties Union (ACLU) hat Trumps Wahlversprechen auf ihre Verfassungskonformität hin untersucht und festgestellt, so deren Geschäftsführer Anthony Romero, dass sie „den ersten, vierten, fünften und achten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten verletzen“. Romero kündigte an, dass die ACLU die „Umsetzung seiner Vorschläge erschweren und anfechten werde“, was allerdings bereits den Startvorteil des Präsidenten in spe belegt: Der Eröffnungszug gehört ihm. „Die anderen Staatsgewalten werden dann vor vollendete Tatsachen gestellt“, heißt es in einer Analyse der Politikwissenschaftler Terry M. Moe und William G. Howell von 1999. Nach den Anschlägen vom 11. September unterzeichnete George W. Bush einen Exekutiverlass, der es ermöglichte, amerikanische Bürger auch ohne richterliche Verfügung abhören zu dürfen. Zahlreiche Abgeordnete versuchten dieses Gesetz zu verhindern, es gab mehrere Klagen – und doch wurde es erst 2015 auf Beschluss des Kongresses wieder rückgängig gemacht.

In einigen wenigen Fällen stößt der sehr weit gefasste Handlungsspielraum eines US-Präsidenten aber schlicht auf Grenzen, die Regierungsmitarbeiter setzen. Zur Bekämpfung des Terrorismus forderte Trump, dass man auch „die Familien von Terroristen ausschalten müsse“, dass man „daran arbeiten muss, das Internet auf gewisse Art zu zensieren“, und dass man Methoden anwenden müsse, die „schlicht unvorstellbar und viel schlimmer als Waterboarding“ seien. Solchen Anweisungen, da ist sich Michael V. Hayden, ehemaliger Direktor der CIA sicher, würden sich erfahrene Beamte widersetzen: „Niemand ist dazu verpflichtet, einem gesetzeswidrigen Befehl zu folgen.“

Trump wird der erste amerikanische Oberbefehlshaber sein, der keinerlei Erfahrung in einem politischen oder militärischen Amt mitbringt. Gleichwohl behauptete er während des Wahlkampfs, dass er den Sicherheitsexperten des Landes nicht über den Weg trauen würde, er wüsste schließlich „mehr über den Islamischen Staat als die Generäle“. Nach seiner Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner nahm Trump erstmals an einer geheimdienstlichen Unterrichtung teil, die in einem seiner Büros in New York stattfand. Trump wurde vom ehemaligen Generalleutnant und designierten Nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn begleitet, der Berichten zufolge die Sitzung so oft mit Kommentaren und Fragen unterbrach, dass der damalige Leiter des Übergangsteams, New Jerseys Gouverneur Chris Christie, ihn zur Ruhe rufen musste (Trumps Wahlkampfteam hat diese Darstellung der Ereignisse dementiert). Entgegen allen bisherigen Usancen kommentierte Trump das Briefing öffentlich. Er habe, sagte er in einem Fernsehinterview, aus „der Körpersprache“ der Geheimdienstler geschlossen, dass sie mit Obama „unzufrieden“ seien. Als erster designierter Präsident weigert er sich, die traditionellen Briefings der Geheimdienste zu lesen.

Mehrere Sicherheitsexperten zeigten sich in vertraulichen Gesprächen ebenso besorgt über die mangelnde Erfahrung des designierten Präsidenten. Die ultimative Feuerprobe für jeden Präsidenten liegt in seiner Reaktion auf ein plötzlich eintretendes schreckliches Ereignis oder einen Ausnahmezustand wie ein größerer, womöglich durch einen Terroranschlag verursachter Stromausfall. „Würde der Präsident kopflos reagieren?“, fragte Jim Woolsey, ein Trump-Berater, der zwischen 1993 und 1995 CIA-Chef war. „Einer Sache kann man sich sicher sein: Der erste Lagebericht ist immer fehlerhaft. Sollte ein Präsident sich aber dennoch völlig auf einen ersten Bericht verlassen und zu dem Schluss kommen, dass die USA angegriffen würden, dann wird es sehr schwer, sich dem entgegenzustellen.“

In seinem Buch „Trump: How to Get Rich“ (2004) schreibt Trump, dass „andere immer staunen, wie schnell ich wichtige Entscheidungen treffe. Doch ich habe gelernt, meinem Instinkt zu folgen und Dinge nicht übermäßig zu durchdenken … Zu lernen, dass es manchmal schlau ist, oberflächlich zu sein – das war eine entscheidende Erfahrung für mich.“ Auch Rachsucht und grundsätzlichen Argwohn zählt Trump zu seinen eher positiven Eigenschaften. „Wer es anderen nicht heimzahlt, ist ein Idiot!“, schrieb er 2007. „Seid paranoid“, empfahl er im Jahr 2000.

Fasziniert von Atomwaffen

Schon seit vielen Jahren interessiert sich Donald Trump intensiv für Atomwaffen. 1984, mit Ende dreißig, sagte er in einem Gespräch mit der Washington Post, dass er gerne die Atomverträge mit der Sowjetunion aushandeln würde und sich dies auch zutraue: „Das Wichtigste zum Thema Raketen könnte ich in 90 Minuten lernen. Das Meiste weiß ich ohnehin schon.“ Laut Bruce G. Blair, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Program on Science and Global Security in Princeton, traf Trump 1990 während eines Empfangs einen amerikanischen Verhandlungsführer für Nuklearfragen und bot ihm seine Dienste als Berater an. Er wisse, wie man einen „vorzüglichen“ Deal mit den Sowjets aushandeln könne. Man müsse nur zu spät zu den Gesprächen auftauchen, dem sowjetischen Unterhändler standhalten, ihm die Pistole auf die Brust setzen und „Fuck you“ sagen. Ein ehemaliger republikanischer Mitarbeiter im Weißen Haus, den Trump wegen seiner Expertise kontaktiert hatte, äußerte sich zu Trumps Selbsteinschätzung nur mit dem tiefen Stoßseufzer: „Das Problem mit Donald ist, dass er nicht weiß, was er nicht weiß.“

Kurz nach dem Ablegen des Amtseids wird dem neuen Präsidenten ein militärischer Berater zur Seite gestellt, dem die Aufsicht über einen 45 Pfund schweren, aus Leder und Aluminium gefertigten Aktenkoffer obliegt. Dieser Koffer, im Weißen Haus nur als „the football“ bezeichnet, enthält „ein Handbuch zur atomaren Kriegführung“ und Listen ausländischer Angriffsziele: Städte, Waffenlager, wichtige Infrastruktur. Um einen Angriff anzuordnen, müsste Trump sich zuerst gegenüber dem Kommandanten in der Einsatzzentrale des Pentagons identifizieren – und zwar mit den Codes, die auf „the biscuit“ verzeichnet sind, einer Identitätskarte, die es nur in einmaliger Ausführung gibt. (Jimmy Carter soll den „biscuit“ angeblich versehentlich mit in die Reinigung gegeben haben. Bill Clinton habe ihn einst verlegt und monatelang niemandem von seinem Missgeschick erzählt.)

In seltenen Fällen waren die Befehle des Präsidenten für dessen enge Mitarbeiter zu verstörend, um ihnen Folge zu leisten. Im Oktober 1969 befahl Richard Nixon seinem Verteidigungsminister Melvin R. Laird, alle Atomstreitkräfte in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen. Laut Scott Sagan von der Stanford University hoffte Nixon, das könnte die Sowjets zur Annahme verleiten, dass Nixon bereit sei, Nordvietnam anzugreifen. Der entsetzte Laird versuchte, sich mithilfe einer Ausrede aus der Verantwortung zu ziehen: Die Anordnung falle mit einer Militärübung zusammen und könne deshalb nicht ausgeführt werden.

Sagan zufolge war „Nixon von der so genannten Madman-Theorie überzeugt: Potenzielle Aggressoren sollten abgeschreckt werden, indem man den Verdacht schürte, Nixon selbst handle irrational“. Laird hielt diese These für komplett verrückt. Er war überzeugt, dass die Androhung eines Atomkriegs im Kampf um Nordvietnam militärisch nicht sinnvoll, aber vor allem politisch brandgefährlich sei. In der Hoffnung, dass Nixon wieder zur Besinnung kommen würde, verlegte er sich darauf, die Ausführung der Befehle zu verzögern. „Nixon machte das oft: Er gab einen wütenden Kommentar ab, wenn man aber nicht darauf reagierte, verlangte er häufig auch keine Aktion“, so Sagan. Im Fall Nordvietnam allerdings blieb Nixon standhaft und Laird knickte ein. Die überstürzt durchgeführte Operation verlief schlecht: 18 bis zum Anschlag mit nuklearen Sprengköpfen beladene B52-Langstreckenbomber flogen Richtung Sowjetunion. Bei den Manöverflügen gerieten einige in gefährliche Nähe zu anderen Flugzeugen. „Riskant“ lautete die spätere Bewertung im Missionsbericht.

Nixons Verteidigungsminister James R. Schlesinger versuchte gar, dem Präsidenten vollständig die atomare Befehlsgewalt zu entziehen. In den letzten Wochen des Watergate-Skandals 1974 waren einige Mitarbeiter Nixons überzeugt, dass der Präsident nicht mehr „stabil“ sei. Laut James Carroll, Autor ­einer Geschichte des Pentagons mit dem Titel „House of War“, bat Schlesinger daraufhin den Vorsitzenden der Vereinigten Generalstabschefs, „jede Notverordnung, die vom Präsidenten kommt“, vor ihrer Umsetzung an ihn weiterzuleiten. Rechtlich mag dieser Befehl inakzeptabel gewesen sein. In Zweifel gezogen wurde er von niemandem.

Viele erfahrene Republikaner verweigern sich nun einer Trump-Regierung. Das könnte aber zu einem Team „von lauter Ollie Norths“ führen, so ein ehemaliges Kabinettsmitglied in einem Gespräch mit mir. (1987 musste sich Oliver L. North, militärischer Berater des Nationalen Sicherheitsrats während der Präsidentschaft Ronald Reagans, vor dem Kongress für seine Beteiligung an der Iran-Contra-Affäre verantworten. Im Zuge der Anhörung sagte North: „Wenn der Commander-in-Chief diesem Lieutenant Colonel befehlen würde, ich solle mich in einer Ecke auf den Kopf stellen, dann würde ich das tun.“) Die Parallelen zu Richard Nixon sind alles andere als abwegig, so Timothy Naftali, ehemaliger Direktor der Präsidentenbibliothek von Richard Nixon: „Trump twittert, was Nixon außerhalb seines engsten Zirkels nicht zu sagen wagte. Nixon projizierte seine eigenen Verschwörungstheorien oft auf andere und unterstellte der Gegenseite genau das, was er selbst getan hätte. Er war überzeugt, dass die Demokraten ihn ausspähen ließen. Also ließ er sie ausspähen. Vor sich selbst rechtfertigte er dieses Verhalten mit dem Hinweis, dass er ja nur tue, was auch seine Gegner tun.“

Al-Kuds mit „Kurds“ verwechselt

In keinem Politikbereich wurde Trump während des Wahlkampfs mit so vielen für ihn neuen Informationen konfrontiert wie in der Außenpolitik. Auf die Frage, was er von den Al-Kuds-Brigaden halte, einer iranischen paramilitärischen Einheit, antwortete Trump mit einer Einschätzung zum politischen Status „der Kurden“. In einer Debatte im Dezember 2015 wurde Trump vom Moderator aufgefordert, Stellung zur „nuklearen Triade“ abzugeben. Das ist der wichtigste Eckpfeiler der amerikanischen Atomstrategie, die auf der Verfügbarkeit von Langstreckenbombern, auf Land stationierten Sprengköpfen und Atom-U-Booten besteht. Trump hatte keine Ahnung, was der Begriff bedeutet, und antwortete: „Ich denke, für mich ist Nuklear einfach die Macht, die Verwüstung ist mir sehr wichtig.“ (sic)

Auf Bitten des Trump-Teams half Richard Burt, hochrangiger Diplomat während der Präsidentschaft Ronald Reagans und Botschafter der USA in Deutschland von 1985 bis 1989, Trumps Redenschreibern, eine erste große außenpolitische Rede zu formulieren. Für Trumps Vorstellung von „realistischeren“ und zurückhaltenderen Vereinigten Staaten hegt Burt durchaus Sympathie. „Wir waren einmal alleinige Supermacht“, sagte er mir. „Das hat sich geändert, wir leben nicht mehr in einer unipolaren Welt. Jetzt ist das vielleicht auch nicht mehr wichtig, denn wir haben es versaut, nicht nur die Sache im Irak. Wir haben uns in vielerlei Hinsicht zu sehr in die Nationenbildungs-, Regimewechsel- und Demokratisierungsambitionen verstrickt. Und haben dann gelernt, dass das alles viel schwieriger umzusetzen ist, als wir es uns vorgestellt haben.“

Burt hat einige Ideen für das Trump-Team beigesteuert, als aktiver Unterstützer des designierten Präsidenten sieht er sich nicht. Die außenpolitische Rede, die auch auf Burts Input zurückgeht, hielt Trump im April des vergangenen Jahres – aber wohl fühlte sich der Kandidat mit dieser Rede nicht, so Patrik Chougule, einer der Berater Trumps. Der designierte Präsident sei jemand, so Chougule, „der seine eigenen Urteile fällt, ob richtig oder falsch. Ihm dieselben politischen Strategien mit auf den Weg zu geben wie einem Berufspolitiker, wäre nicht angemessen.“ Auf die Frage, wen er in außenpolitischen Fragen am stärksten konsultiere, hatte Trump im März vergangenen Jahres geantwortet: „Ich spreche vor allem mit mir selbst, denn mein Hirn funktioniert prächtig und ich habe schon eine Menge Sachen gesagt.“ Dass Trump so außergewöhnlich große Mühe hatte, bekannte republikanische Berater für sein Wahlkampfteam zu gewinnen, lag vor allem an seinem Slogan „America First“. Das ist kein Konzept des klassischen Isolationismus, das ist eher ein Konzept der Extraktion. Die USA sollen sich nicht zurückziehen, sie sollen etwas wiederbekommen. „Alles, was wir der Welt gegeben haben, möchte ich zurückholen“, so Trump im April 2015.

Alliierte revidieren ihr Amerika-Bild

Trumps Vorstellung, die USA seien eine Art Überlebender in einer anarchischen Welt, hat in einigen Ländern schon zu einem Überdenken der bisherigen Haltung zu den USA geführt. „Es klingt beinahe so, als würde man amerikanische Truppen bald mieten und bezahlen müssen“, sagte mir ein europäischer Diplomat in Washington. Aber selbst, wenn man solche Aussagen für Wahlkampfgetöse hielte, habe Trumps Erfolg in erster Linie mit einer sich verändernden Selbstwahrnehmung in der amerikanischen Gesellschaft zu tun: „Das Gefühl, dass es eine gerechtere Lastenverteilung geben muss, sitzt wohl sehr tief bei ihm: Hier läuft etwas falsch, die USA werden ausgenutzt.“

Manchmal bewirkt die Art, wie Trump etwas sagt, genau das Gegenteil dessen, was er eigentlich vermitteln will. Er will hart gegenüber China auftreten („Wir können China nicht erlauben, unser Land zu vergewaltigen“). Aber sein Appell „America First“ klingt in Peking eher wie das Lamento von erschöpften und nachgiebig gewordenen Vereinigten Staaten. Entsprechend überschrieb ein nationalistisches chinesisches Webportal namens Guancha einen Beitrag jüngst mit dem Titel: „Trump: Die USA werden aufhören, über Menschenrechte zu reden und die NATO nicht mehr bedingungslos unterstützen“.

Auch im Nahen Osten hat Trumps Neigung zu starken Meinungen einen Effekt, den er weder erahnt noch kontrollieren kann. Die libanesische Hisbollah freute sich jedenfalls ungemein über Trumps Behauptung, Obama habe den IS gegründet. Hassan Nasrallah, Kopf der Miliz, die an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegen den IS kämpft, hatte ja schon mehrfach behauptet, die Extremistengruppe sei von den USA gegründet worden, um die Region zu destabilisieren. Trump schien genau das zu bestätigen. „Ein Kandidat für das Amt des Präsidenten spricht für die Republikanische Partei“, so Nasrallah bei einem seiner Fernsehauftritte. „Er hat dafür Beweise.“ Andere militante Gruppen, der IS eingeschlossen, nutzten Bilder und Zitate von Trump in ihren Rekrutierungsvideos. In einem Clip, den die ostafrikanische, mit Al-Khaida verbündete Al-Shabaab-Miliz veröffentlichte, sieht man Trump, wie er einen Einreisestopp für Muslime fordert. Morgen, warnt das Video, „werden die Vereinigten Staaten ein Land der religiösen Diskriminierung und der Konzentrationslager sein.“

Am häufigsten kommt Trump auf sein Versprechen zurück, das Atom­abkommen mit dem Iran „neu zu verhandeln“. Auf jeden Fall „wird er es in seiner jetzigen Form nicht umsetzen“, sagt Trumps außenpolitischer Berater Walid Phares. Dass es durchaus berechtigte Kritik an einigen Punkten des Abkommens gibt, gesteht Karim Sadjadpour, Iran-Experte des Carnegie Endowment for International Peace, durchaus zu. Es deshalb aber nicht umzusetzen, wäre „ein Geschenk an Teheran. Die konservative Fraktion sucht einen Weg, das Abkommen zu torpedieren, ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen“, so Sadjadpour. „Das wäre die ideale Lösung. Die Iraner würden sagen, ihr habt die Vereinbarung gebrochen, also nehmen wir unser Atomprogramm jetzt wieder auf.“

Seinen spektakulärsten Vorstoß während des Wahlkampfs unternahm Trump im Juli des vergangenen Jahres, als er erklärte, dass er die Verteidigung der baltischen NATO-Staaten im Bündnisfall davon abhängig machen werde, ob sie ihren „finanziellen Verpflichtungen gegenüber den USA nachgekommen“ seien. Toomas Hendrik Ilves, bis Oktober 2016 Präsident Estlands, kann sich darüber nur wundern. „Estland hat sich noch nie bequem zurückgelehnt und gewartet, dass wir von unseren Alliierten beschützt werden. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl unseres Landes verfügen wir sogar über die stärkste Militärpräsenz in Afghanistan.“ Ohne Trump namentlich zu nennen, warnte Ilves vor Improvisationen in außenpolitischen Bereichen, die auch Russland beträfen. „Russlands Aggression im Fall Ukraine und die Auswirkungen, die das russische Verhalten generell auf die Sicherheitsstruktur Europas gehabt hat, sind Anzeichen für einen Paradigmenwechsel. Das Vertrauen in die Ordnung, die nach dem Kalten Krieg geschaffen wurde, ist erschöpft.“

Kurz nachdem Trump laut über die Verpflichtungen der USA innerhalb der NATO nachgedacht hatte, sprach ich mit Forschern der RAND Corporation, eines überparteilichen Think Tanks unweit Washingtons. Während des Kalten Krieges hatte RAND so genannte „war games“ entwickelt, um potenzielle militärische und politische Szenarien zu simulieren. Vier RAND-Forscher erhielten für ihre Arbeit im Bereich der Spieltheorie den Nobelpreis. „Im Frühjahr 2014, kurz nach der russischen Annexion der Krim, stellte man sich erstmals die Frage, wie Russland der NATO schaden könnte, wenn es das wollte“, erklärte mir David Shlapak, Co-Direktor des RAND Center for Gaming. Um diese Frage annähernd beantworten zu können, organisierte RAND einige vom Pentagon finanzierte militärische Planspiele, an denen Armeeoffiziere und Militärstrategen teilnahmen. Was, so wollte man wissen, würde passieren, wenn Russland die drei verwundbarsten NATO-Staaten Estland, Litauen und Lettland überfallen würde?

Zur Überraschung aller Beteiligten erreichten die fiktiven russischen Streitkräfte die Außenbezirke Rigas und Tallinns in weniger als 36 Stunden. Den noch größeren Schock verursachte allerdings das Ausmaß der simulierten Zerstörung. Die in Deutschland, Italien und anderswo stationierten amerikanischen Verbände sind nicht schwer gepanzert. „In zwölf Stunden forderte die Auseinandersetzung mehr amerikanische Opfer als 16 Jahre Irak- und Afghanistan-Krieg“, fasste Shlapak zusammen, „in zwölf Stunden verlor die amerikanische Luftwaffe mehr Flugzeuge als in allen Einsätzen seit dem ­Vietnam-Krieg. In unserem Szenario setzte Russland 450 Panzer ein, die NATO keinen einzigen. (Basierend auf diesen Planspielen empfahl RAND der NATO, drei schwergepanzerte Brigaden in den baltischen Staaten zu stationieren.)

Shlapak ist seit 34 Jahren bei RAND tätig. Noch nie haben er oder RAND Stellung zu einem Präsidentschaftskandidaten oder dem Wahlkampf bezogen. Und doch äußerte er sich zu den Auswirkungen, die Trumps Andeutung, der NATO in bestimmten Fällen amerikanische Unterstützung versagen zu wollen, hervorrufen könne. Abschreckung sei von Haus aus psychologisch, so Shlapak, sie löse eine Gefühlslage bei einem Widersacher aus, die durch einige grundsätzliche Faktoren bedingt werde. „Einer ist die Glaubwürdigkeit – der Gegner muss überzeugt sein, dass er mit den angekündigten Konsequenzen rechnen muss, wenn er die aufgestellten Regeln bricht.“

Eine Andeutung, die USA könnte ihre Unterstützung für die NATO zurückfahren, suggeriere vor allem, dass die langjährige Bereitschaft, Europa zu verteidigen, bei einem Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit bröckelt und dass dieser Grundpfeiler plötzlich verhandelbar geworden ist. „Wir haben 70 Jahre des Friedens zwischen den großen Weltmächten erlebt; die längste Friedensperiode seit der Begründung des Westfälischen Systems“, so Shlapak. „Vermutlich verdrängen wir diesen Umstand, weil wir den Wert des Friedens nicht mehr verstehen. Wir sind schon so lange nicht mehr mit der Gefahr eines ernsten Konflikts konfrontiert worden.“

Eine Mauer, oder zumindest ein Zaun

Innenpolitik ist das Feld, auf dem sich Trump seit jeher am wohlsten fühlt. Während des Wahlkampfs war der Bau einer „unüberwindbaren, kräftigen, hohen, mächtigen, wunderschönen Grenzmauer im Süden“ eines seiner wichtigsten Themen. Das muss kein leeres Versprechen bleiben. Michael Chertoff, der als Minister für Innere Sicherheit den Bau von Grenzzäunen beaufsichtigte, ist der Überzeugung, dass dieses Vorhaben zwar nicht so schnell umsetzbar ist, wie Trump meine. Logistisch unmöglich sei das aber nicht. Trumps politische Zukunft ist mittlerweile so eng mit dem Bau der Mauer verbunden, dass er gar keine andere Wahl mehr zu haben scheint, als wenigstens den Versuch zu wagen, das Projekt umzusetzen.

Als zehn Meter hohe Struktur aus Stahl und vorgefertigten Betonblöcken („Da kommt niemand mit einer Leiter drüber“) hat Trump „seine“ Mauer beschrieben. Das Fundament soll so tief verlegt werden, dass es nicht von Fluchttunneln untergraben werden kann; die Länge betrüge insgesamt 1600 Kilometer und wäre damit etwa halb so lang wie die eigentliche Grenze, da natürliche Hindernisse den Rest des Weges versperren. Die Kosten des Projekts: angeblich an die zwölf Milliarden Dollar. Unabhängige Experten rechnen damit, dass doppelt so viel Geld nötig wäre und die Bauzeit mit etwa vier Jahren zu veranschlagen wäre. Was die Finanzierung betrifft, so ist bei Trump wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Um Mexiko zu zwingen, für die Mauer zu bezahlen, will Trump das Geld beschlagnahmen, das illegale mexikanische Immigranten aus den USA in ihre Heimat zurücküberweisen sowie Gebühren und Zollsätze erhöhen. So einem Vorhaben wären allerdings praktische und juristische Grenzen gesetzt. Zudem haben mexikanische Verantwortliche bereits angekündigt, sich nicht an den Kosten beteiligen zu wollen. Trump müsste sich das Geld also vom Kongress holen. Nur sehen viele Republikaner das Vorhaben skeptisch. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass Trumps „große, schöne Mauer“ am Ende nichts weiter wird als eine kleine, symbolische Verlängerung des schon vorhandenen Grenzzauns.

Das ambitionierteste Projekt des designierten Präsidenten aber ist die Abschiebung von etwa 11,3 Millionen illegalen Einwanderern in den nächsten zwei Jahren. Um das durchzuführen, müssten die Behörden täglich etwa 15 000 Menschen verhaften – 20 Mal mehr als derzeit. Trumps Vorbild ist die Abschiebungspolitik der Eisenhower-Ära. Damals seien Menschen „in den Süden bewegt“ worden, so Trump, die „nie zurückkamen. Dwight Eisenhower. Einen netteren und freundlicheren Kerl gibt es nicht.“

Eisenhowers Projekt, die so genannte Operation Wetback, begann im Juni 1954 unter der Leitung des Ex-Generals Joseph M. Swing. Aufklärungsflugzeuge und Einsatztruppen in Jeeps sollten illegale Immigranten beim Versuch festsetzen, die amerikanische Südgrenze zu überqueren. Laut „Impossible Subjects“, einer Studie zur Geschichte illegaler Immigration von Mae M. Ngai, wurden in den ersten drei Monaten der Operation Wetback 170 000 Menschen festgenommen und auf Frachtschiffen nach Mexiko zurückgebracht. Auf einem der Schiffe kam es zum Aufstand. Eine daraufhin eingesetzte Untersuchungskommission stellte fest, dass die höllischen Zustände bei der Überfahrt denen auf „Sklavenschiffen des 18. Jahrhunderts“ gleichkamen. Auch die Verhältnisse zu Land waren unmenschlich. Während einer Verhaftungswelle, die in der prallen Sonne und bei 40 Grad stattfand, starben insgesamt 88 Menschen. Überdies kam es auch zu versehentlichen Verhaftungen amerikanischer Staatsbürger.

Julie Myers Wood, Leiterin des Einwanderungs- und Zollermittlungsdiensts in der Regierung George W. Bush, findet Trumps Pläne „widerlich“, warnt aber davor, sie für nicht umsetzbar zu halten. Präsident Trump könnte den Einwanderungsbehörden Zugang zu Dokumenten aus der Bundessteuerbehörde verschaffen, mit denen sich die Aufenthaltsorte vieler undokumentierter Immigranten herausfinden ließen (Menschen, die sich illegal in den USA aufhalten, aber trotzdem Steuern bezahlen, geben oftmals ihre echten Adressen an, um Steuerrückzahlungen geltend machen zu können). Trump könnte sich außerdem auf den Passus 287(g) des Immigration and Nationality Act berufen, um Tausende lokale und bundesstaatliche Geheimdienstler und Polizeibeamte mit Abschiebungsaufgaben zu betreuen. Es wäre durchaus möglich, diese Menschen in einen Zug oder auf ein Schiff zu verfrachten. Die für eine Abschiebung notwendigen Razzien in landwirtschaftlichen Betrieben, Restaurants, Fabriken und auf Baustellen würden laut Berechnungen des konservativen Think Tanks American Action Forum mehr als 90 000 Einsatzkräfte erfordern, sechs Mal mehr Menschen, als derzeit als Sonderermittler beim FBI arbeiten. Für die daraufhin festgesetzten Männer, Frauen und Kinder müssten knapp 350 000 Betten zur Verfügung gestellt werden, fast dreimal so viele wie während der Internierung von japanischstämmigen Amerikanern während des Zweiten Weltkriegs. Tausende Busse und Flugzeuge würden die Menschen dann zurück in ihre Herkunftsländer bringen. Das American Action Forum schätzt, dass sich die Gesamtkosten auf 600 Milliarden Dollar belaufen würden. Das sei „ökonomisch unbesonnen“.

Nachdem Trumps Umfragewerte im August vergangenen Jahres gesunken waren, sprach er davon, seine Einwanderungspläne „abzufedern“. Das wiederum kam bei seinen Anhängern gar nicht gut an. Also schwenkte er wieder um und versprach schon in einer Rede vom 31. August, ein „Abschiebungs-Sonderkommando“ ins Leben zu rufen, mit dem er selbst Eisenhower übertreffen werde. „Man kann sich nicht einfach in unser Land einschleichen, den Kopf einziehen und auf die Einbürgerung warten“, sagte er. „Diese Zeiten sind endgültig vorbei.“

Ein seriöser Geschäftsmann?

Während des Wahlkampfs versuchte Trump, vor allem mit wirtschaftlichen Argumenten zu punkten: Als Präsident würde er auf seine Erfahrung als Geschäftsmann zurückgreifen, sich „mit den besten und seriösesten Menschen umgeben“ und den Amerikanern zu neuem Wohlstand verhelfen. Das Verhalten einiger seiner Mitarbeiter und Trumps eigener Umgang mit ihnen lässt an der Seriosität seiner Berater jedoch Zweifel aufkommen. Seinen ersten Wahlkampfmanager Corey Lewandowski feuerte er. Chefstratege Paul Manafort wurde entlassen, nachdem Berichte über unrechtmäßige Lobbyarbeit und Geld­überweisungen ukrainischer Politiker auf sein Konto öffentlich wurden (Manafort hat alle Vorwürfe bestritten).

Ein großer Teil der Trump’schen Wirtschaftspolitik spiegelt die Auffassung wider, dass sich Handelsabkommen, „die nicht gut für uns sind, Amerika umbringen“. Schon kurz nach seiner Wahl hat Trump angekündigt, der geplanten Transpazifischen Partnerschaft (TPP) seine Unterstützung zu entziehen. NAFTA will er aufkündigen, chinesische Produkte mit höheren Zöllen belegen und – falls die Welthandelsorganisation Einspruch dagegen einlegen sollte – auch aus der WTO austreten, so wie Bush 2002 den amerikanischen Austritt aus dem ABM-Vertrag veranlasste.

Interviews mit Trumps wirtschaftlichen Beratern lassen keinen Zweifel daran, dass es sich bei den meisten der Wirtschaftsvorschläge Trumps um Polittheater handelt, um die Verhandlungsposition der USA zu stärken. Politisch werden diese Vorschläge kaum unterfüttert werden. 2006 veröffentlichte Dan DiMicco, ehemaliger Geschäftsführer des größten amerikanischen Stahlherstellers Nucor Corpora­tion, ein Buch mit dem Titel „Steeling America’s Future: A CEO’s Call to Arms“. Lange bevor die meisten Republikaner die politische Protestwelle gegen den Freihandel vorhersahen, schrieb DiMicco zum Thema wachsende Konkurrenz Chinas im Stahlgewerbe: „Schande über unsere politischen Führer, wenn sie es weiter ablehnen sollten, für fairen Wettbewerb zu sorgen.“

DiMiccos Position als CEO von Nucor half ihm enorm bei der Vermarktung seiner Ideen. So wurde auch Trump auf ihn aufmerksam. „Wir haben damals über China, Handel, Wettbewerbsverzerrung und all diese Dinge geredet“, sagte mir DiMicco. Mittlerweile ist er Mitglied von Trumps engstem wirtschaftlichen Beraterkreis, hat den designierten Präsidenten in New York besucht und rühmt sich seiner unkonventionellen Ratschläge. So sollten sich die USA im Umgang mit China wie ein aggressiver Patient beim Zahnarzt verhalten: „Der Patient setzt sich in den Behandlungsstuhl, packt den Zahnarzt bei den Eiern und sagt: Wenn du mir nicht wehtust, dann tue ich dir auch nicht weh.“

Peter Navarro, Trumps führender Berater im Bereich China und Handel, ist Wirtschaftsprofessor an der University of California in Irvine. Chinesisch beherrscht er nicht, mit den meisten führenden Akademikern seines Feldes hat er sich überworfen; zu seinem Werk gehören Dokumentarfilme mit Titeln wie „Death by China“ und Bücher wie „The Coming China Wars“. Als wir uns während des Nominierungsparteitags der Republikaner sprachen, sagte Navarro, dass er für einen Ausgleich des Handelsdefizits eintrete. Das würde „einen Prozess in Gang setzen, der zu schnellerem Wirtschaftswachstum, mehr Jobs und höheren Löhnen und damit zu einem höheren Steueraufkommen führen würde. Damit könne man endlich die vernachlässigte Infrastruktur, die Sozialsysteme und den Verteidigungssektor in Ordnung bringen.“ Sein Credo: „Wenn man sich um das Handelsdefizit kümmert, dann passieren gute Dinge. Das ist die Philosophie von Donald Trump.“ Larry Summers, ­Harvard-Professor und ehemaliger Finanzminister, glaubt allerdings, dass Trumps Wirtschafts- und Handelspolitik innerhalb von 18 Monaten zu einer lang anhaltenden Rezession führen werde. Selbst wenn Trump keine neuen Zölle einführen sollte, so Summers, würde „die Einschätzung, dass die USA in Zukunft eine hypernationalistische Handelspolitik betreiben könnten, das weltweite Vertrauen in die USA als Handelspartner schwächen und womöglich das Risiko finanzieller Krisen in Schwellenländern erhöhen“. Sollte Trump wirklich neue Handelshemmnisse schaffen, könnten die Folgen dramatisch ausfallen. Mark Zandi, Chefökonom bei der Rating­agentur Moody’s und ehemals Berater sowohl der Demokraten wie der Republikaner, geht davon aus, dass Trumps Pläne einen Handelskrieg auslösen könnten, der vier Millionen Jobs in den USA kosten würde. Drei Millionen weitere Jobs, die bei einer Fortsetzung des bisherigen Wirtschaftskurses entstanden wären, wären ebenfalls verloren.

„Alles ist verhandelbar“

Donald Trumps erfolgreiche Strategie war die Vorspiegelung von Ambiguität mit dem simplen Satz, alles sei ja verhandelbar. In Wirklichkeit aber hat er geradezu herausgeschrien, was ihm wichtig ist, welche Prioritäten er setzt, welche historischen Vorbilder er schätzt. Er hat klar gezeigt, wie er in Drucksituationen reagiert und nie einen Hehl daraus gemacht, wem er die Umsetzung seiner Ideen anvertrauen würde. In seinem Buch „Trump: Denken wie ein Milliardär“ zitiert er Richard Conniff, den Autor des Buches „The Natural History of the Rich“: „Erfolgreiche Führungspersönlichkeiten zeichnen sich durch ihre totale Entschlossenheit aus, der Welt ihre Vision überzustülpen. Sie pflegen einen irrationalen Glauben daran, selbst die abwegigsten Ziele erreichen zu können. Zuweilen bewegen sie sich am Rande des Irrsinns.“ Trumps „irrationaler Glaube daran, die abwegigsten Ziele zu erreichen“, ist vollkommen authentisch.

Die größten Fehler begingen die USA oft, weil es ihnen an Vorstellungskraft fehlte: dass ein Terrorist in einer afghanischen Höhle einen Anschlag planen könnte oder welche Konsequenzen die Invasion des Irak haben würde. Mit Trump verhält es sich umgekehrt: Es bedurfte keiner Phantasie, sich die Politik eines Präsidenten Trump vorzustellen. Dem magischen Glauben, der Präsident werde sich anders verhalten als der Kandidat Trump, sollte man deshalb nicht verfallen.

Dieser Beitrag ist eine aktualisierte, leicht gekürzte Fassung von „President Trump“ aus dem New Yorker (September 2016).

Evan Osnos ist Washington-­Korrespondent des New Yorker.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 28-42

Teilen