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01. Sep 2019

Sie müssen wandern

Der Klimawandel hat in Zentralamerika verheerende Folgen. Dürre und Naturkatastrophen treiben die Menschen in den Norden – in Richtung der USA

Wer ein Beispiel dafür sucht, wie der Klimawandel Menschen dazu treibt, ihre Heimat zu verlassen, braucht nur nach Zentralamerika zu blicken. Hundertausende machen sich dort auf, um in den USA eine Zukunft für sich und ihre Kinder zu finden. Dort zeichnen sich die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern die Gesellschaft und die wirtschaftliche Entwicklung einer ganzen Region in aller Deutlichkeit ab. Besonders in den Ländern des sogenannten Nördlichen Dreiecks – Guatemala, El Salvador und Honduras –, in denen etwa ein Drittel der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, stellt der Klimawandel alle offiziellen Langzeitentwicklungsziele infrage. Kein Wunder, dass die Menschen sich auf die Wanderschaft nach Norden machen.

Die Durchschnittstemperatur ist in Zentralamerika seit 1950 um 0,5 Grad Celsius gestiegen. Experten gehen davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts weitere ein bis zwei Grad Celsius dazukommen werden. Guatemala, El Salvador und Honduras sind zwar gemeinsam lediglich für 0,37 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Doch darauf nimmt die Klimakatastrophe keine Rücksicht. Insbesondere die Landwirtschaft leidet unter den sich dramatisch verändernden Wetterphänomenen. In einigen Gebieten fallen nur noch spärlich Niederschläge, in anderen steigt die Zahl der Überschwemmungen drastisch an. Im Jahr 1998 brachte Hurrikan Mitch Honduras die schlimmste Überschwemmung des Jahrhunderts und warf das kleine Land um 50 Jahre in seiner wirtschaftlichen Entwicklung zurück.

Eine funktionierende Landwirtschaft ist für alle drei Länder von zentraler Bedeutung; Wirtschaft, Exporte und Arbeitsplätze hängen davon ab. In Guatemala macht die Landwirtschaft 14 Prozent des BIP, 31 Prozent aller Arbeitsplätze und 50 Prozent der Exporterträge aus. In den beiden anderen Ländern ist die Lage ähnlich. Die Auswirkungen lassen sich besonders eindrucksvoll am Beispiel des sogenannten Trockenkorridors aufzeigen. Dieser erstreckt sich über 20 000 Quadratkilometer vom südlichen Guatemala über El Salvador in große Teile Honduras’ und ist Heimat für rund 10,5 Millionen Menschen. Jeder Dritte ist dort bereits auf Entwicklungshilfe angewiesen. Seit 2014 herrscht im Trockenkorridor Dürre. Die Landwirtschaft liefert kaum noch Ernten: Die Erträge der Bohnen sind um 87 Prozent gesunken, die von Mais um 96 Prozent.

Dürre vertreibt

Gleichzeitig ist die Region dank ihrer unregelmäßigen Niederschläge weltweit zu einem der auffälligsten Warnzeichen für die Wechselwirkung zwischen Klimawandel und Variabilität im Wettermuster geworden. Während des Wetterphänomens El Niño mit seinen langen Hitzewellen sinkt der Niederschlag hier um rund 40 Prozent. La Niña dagegen bringt intensive Niederschläge und tropische Stürme mit oft katastrophalen Folgen für Infrastruktur und Landwirtschaft. Wie so oft sind vor allem die Kleinbauern in den ländlichen Gemeinden am stärksten betroffen. Sie können kaum noch landwirtschaftlich planen und ernten, ihre Lebensgrundlage ist dahin. Viele suchen Zuflucht in den überbevölkerten urbanen Zentren der Region oder machen sich auf den langen Weg zur US-amerikanischen Grenze.

Nicht nur im Trockenkorridor, auch in den westlichen Hochländern von Guatemala kämpfen die Kleinbauern ums Überleben. Hier leben rund 90 Prozent der Landwirte vom Kaffee, einem ganz anderen Produkt als Mais und Bohnen. Doch sind die Kleinbauern hier mit demselben Problem konfrontiert wie ihre Kollegen im Trockenkorridor. Wollen sie überleben, müssen sie fort oder anders wirtschaften.

Der Kaffeesektor ist für die Region enorm wichtig. Nicht nur arbeiten hier fast 25 Prozent der Bevölkerung, die nationale Wirtschaft in den drei Ländern hängt auch erheblich vom Kaffee-Export ab. In El Salvador macht die Kaffeeproduktion 10 Prozent des BIP aus, in Honduras 5 Prozent. Doch in den vergangenen Jahren ist durch die Klimaveränderungen und sinkende Preise auf dem internationalen Kaffeemarkt die Produktion von Kaffee in der Region um fast 30 Prozent zurückgegangen. Die Kaffeebauern müssen, wo dies möglich ist – in El Salvador etwa gibt es keine solche Ausweichoption –, ihre Plantagen in höheren Lagen ansiedeln, um noch Erträge zu erwirtschaften. Umweltzerstörung und Entwaldung in bisher unberührter Natur sind die Folge.

Schließlich belastet der Klimawandel in Zentralamerika die ohnehin gestressten Ökosysteme der Wälder. In Honduras führten gestiegene Temperaturen 2013 zu einer Epidemie von Borkenkäfern, bei der etwa ein Viertel der Wälder zerstört wurde. Langsam erholt sich der Waldbestand wieder. Doch mit steigenden Temperaturen und sinkendem Niederschlag ist die Gegend vermehrt Waldbränden ausgesetzt.

Obwohl die Region – insbesondere Honduras – über genügend Süßwasservorkommen verfügt, ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser vielerorts prekär. Oberflächengewässer machen dort fast 90 Prozent der Gesamtwasservorkommen aus, aber durch Abholzung, Landwirtschaft und Bergbauindustrie ist die Qualität des Wassers stark beeinträchtigt. Wie in anderen Teilen der Welt verursachen steigende Temperaturen und nachlassender Regen Dürre und reduzieren Oberflächen- und Grundwasser.

Darüber hinaus hat ein steigender Meerespegel verheerende Folgen besonders für den Küstenstaat El Salvador. Experten erwarten, dass dort bis Ende des Jahrhunderts bis zu 28 Prozent der Küste im Pazifik verschwinden werden. In der Küstenregion leben heute 30 Prozent der Bevölkerung von El Salvador, die innerhalb der nächsten Jahre ein neues Zuhause finden müssen.

Tropfen auf die heißen Felder

Internationale Hilfs- und Entwicklungsorganisationen haben die Klimaproblematik in der Region erkannt und engagieren sich mit Förderprogrammen und Entwicklungsstrategien. Doch diese Hilfe erscheint wie ein Tropfen auf den heißen Stein beziehungsweise die heißen Felder. Im März kündigten die USA – bis dato größter Geldgeber in der Region – an, für die Länder des Nördlichen Dreiecks keine finanzielle Hilfe mehr zu leisten, solange sie nicht genug unternähmen, um die Migrationsschübe aus ihren Ländern in Richtung USA aufzuhalten. Aber wie sollen sie das schaffen? Die Regierungen von Guatemala, El Salvador und Honduras haben keine ganzheitliche politische und wirtschaftliche Strategie, wie sie den Klimawandel sowohl bekämpfen als auch sich ihm anpassen können. Es fehlt an Fachwissen und klarer Prioritätensetzung.

Dass es auch anders geht, beweist Costa Rica. Der südliche Nachbar gilt international als Vorreiter beim Umwelt- und Waldschutz. Das Land hat sich selbst nicht nur ambitionierte Klima- und Umweltziele gesetzt, sondern sich zu einem beachtlichen Wiederaufforstungsprogramm verpflichtet. So soll beispielsweise bis zum Jahr 2050 die gesamte Wirtschaft entkarbonisiert sein. Es sollen also keine weiteren CO2-Emissionen produziert werden, die nicht durch den eigenen Waldbestand ausgeglichen werden können. Auch will Costa Rica ab 2050 vollständig auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern verzichten. Mit seiner Strategie „Emissionsausgleich durch Aufforstung“ ist das Land auf gutem Weg: In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Waldbestand verdoppelt und bedeckt heute die Hälfte der Landoberfläche. Die Länder des Nördlichen Dreiecks versuchen eine ähnliche Strategie der Aufforstung. Jedoch sind die staatlichen Strukturen in Guatemala, El Salvador und Honduras sehr viel schwächer ausgebildet als in Costa Rica. Honduras verpflichtete sich erstmalig 2015 gegenüber internationalen Geldgebern, bis zum Jahr 2020 seinen Waldbestand um eine Million Hektar aufzustocken. Dies würde insgesamt 314 Millionen US-Dollar einbringen. Aber so sehr das Geld lockt, Honduras hinkt der Aufforstungsverpflichtung noch erheblich hinterher. Dem Land fehlen staatliche Mechanismen und Rahmenbedingungen, die diese Verpflichtung durchsetzen könnten. Darüber hinaus werden trotz Aufforstungsziel illegal große Mengen Holz abgebaut und nach Europa und in die USA exportiert.

Anstöße von außen

Deutschlands und Europas Außen- und Entwicklungspolitik ist mitnichten machtlos, die aktuelle Klimasituation in Zentralamerika zu verbessern. So könnte die EU in ihrer Handelspolitik mit der Region strengere Klima- und Umweltstandards zur Bedingung machen, um illegaler Abholzung im Nördlichen Dreieck entschieden entgegenzuwirken. Mit einer freiwilligen Vereinbarung, die 2018 zwischen der Europäischen Union und Honduras getroffen wurde, ist ein erster wichtiger Schritt bereits getan. Sie soll sicherstellen, dass die Holzexporte in die EU legal und klimakonform sind. Damit soll vor allem die Autorität der staatlichen honduranischen Forstverwaltung im Kampf gegen illegale Abholzung gestärkt werden.

Der Klimawandel hat in Zentralamerika so verheerende Folgen, dass eine bereits politisch instabile Region noch weiter zu verfallen droht. Schwache staatliche Strukturen und Institutionen sowie eine nicht diversifizierte Wirtschaft machen es den Ländern des Nördlichen Dreiecks fast unmöglich, eine eigene ganzheitliche Klimastrategie zu entwickeln und durchzusetzen. Druck von außen, durch die Handelspolitik der Europäischen Union, ergänzt um ihre Entwicklungsinitiativen, könnte intelligente und klimafreundliche Produktionsanreize setzen. So könnte Klimapolitik auch in Guatemala, El Salvador und Honduras eine Zukunft haben. Ob das ausreicht, kann bezweifelt werden. Aber zumindest würde es zeigen, dass die Länder in Europas gemäßigter Klimazone das Warnzeichen aus Zentralamerika nicht völlig beiseiteschieben.

Rebecca Bertram arbeitet als freiberufliche Beraterin für Energie- und Klimapolitik in Honduras.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2019, S. 39-42

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