Kommentar

01. März 2020

Sahelzone: Wege aus der Alternativlosigkeit

Bild
Bild: Cover IP 02-2020

In den vergangenen Monaten häufen sich die schlechten Nachrichten aus der Sahelzone. Entführungen, Terroranschläge und Angriffe auf Militärcamps halten die Bevölkerung, Sicherheitskräfte und Regierungen in Atem. Mehr als 4000 Menschen wurden vergangenes Jahr getötet. Das internationale Engagement hat es nicht vermocht, die Verschärfung der Sicherheitssituation zu stoppen: Zeit zum Umdenken, auch für Deutschland.



Drei problematische Annahmen

Derzeit verfolgt das internationale Engagement in der Sahelzone diverse Ziele: den Terrorismus bekämpfen, Sicherheitskräfte ausbilden, die Umsetzung des Friedensabkommens unterstützen und Entwicklung fördern, einschließlich in guter Regierungsführung, bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen und Dezentralisierung helfen. Drei wichtige Annahmen, die mit diesen Zielvorgaben zusammenhängen, gehören auf den Prüfstand.

Da ist zunächst der Fokus auf der Terrorismusbekämpfung und den dschihadistischen Gruppen. Es ist richtig, dass sich verlustreiche Anschläge auf die Zivilbevölkerung wie auch auf Militärcamps weiter ausbreiten. Doch in der Regel ist der Dschihadismus nicht das Kernproblem. Er ist vielmehr ein Symptom des gestörten Verhältnisses zwischen dem Staat und seinen Bürgerinnen und Bürgern. In Mali erleben die Menschen einen Staat, der seit Jahrzehnten hohe Summen von Entwicklungsgeldern erhält, aber wenig davon in Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Märkte in Randregionen investiert. Vor der Krise 2012/13 galt Mali als „donor darling“, der gut mit der Gebergemeinschaft zusammenarbeitete. Nur leider war für die Opposition in der malischen „Fassadendemokratie“ kaum Platz, wie die Autorin Charlotte Wiedemann ausführlich beschreibt. Damals wie heute scheuen Geber davor zurück, strukturelle Reformen einzufordern, in der Sorge, den schwachen Staat zu überfordern.

Die zweite problematische Annahme betrifft den Sicherheitssektor. Es stimmt, dass die Sicherheitskräfte der G5-Staaten (Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad) kaum in der Lage sind, die Bevölkerung vor bewaffneten Gruppen zu schützen. Doch mindestens genauso wichtig wie eine effektive Kampftruppe ist deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Ausbildung und Ertüchtigung, die die Bundeswehr in Mali und Niger leistet, laufen ins Leere, wenn sie nicht eng mit einer strukturellen Reform des gesamten Sicherheitssektors verbunden sind. Das bedeutet: mehr Transparenz, parlamentarische Kontrolle und Repräsentanz der Bevölkerung in ihrer ganzen Vielfalt. Denn bislang klagen die deutschen Soldatinnen und Soldaten über ungeeignete Kandidaten für die Lehrgänge. Mit begrenztem Ausbildungserfolg werden die Lehrgangsteilnehmer sofort an die Front geschickt, ohne aus Sicht der Ausbilder bereit für den Kampfeinsatz zu sein. Die Folge sind hohe Verluste der malischen Armee, Proteste der Angehörigen und ein Rückzug von Armeeposten, die zu halten zu gefährlich geworden ist.

Drittens lassen sich die bewaffneten Gruppen nicht allein mit militärischen Mitteln besiegen. Natürlich gibt es ideologisch motivierte und entschlossene Anführer und Mitglieder der dschihadistischen Gruppen. Doch Befragungen ehemaliger Kämpfer zeigen, dass viele junge Männer diesen Gruppen nicht primär aus ideologischen Motiven beitreten, sondern aus einer Kombination aus Selbstschutz, Opportunismus und sozioökonomischen Gründen. In manchen Gegenden sorgen dschihadistische Gruppen für ein brutales, aber besser geregeltes Leben als vorher. Forderungen nach einem Dialog religiöser Führer gibt es mindestens seit einer nationalen Konferenz 2017. Auch im „inklusiven nationalen Dialog“ in Mali Ende 2019 tauchten die Forderungen wieder auf. Frankreich blockierte entsprechende Bemühungen erst, 2020 nimmt die malische Regierung sie nun wieder auf.



Mehr Flexibilität wagen

Die aktuelle Überprüfung der Mandate für die Missionen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union in Mali sowie der deutschen Beiträge bietet eine Gelegenheit, die Politik den veränderten Annahmen anzupassen.

Die Gebergemeinschaft muss sich stärker um einen robusten politischen Dialog mit den G5-Staaten bemühen. Klassische Konditionalisierung von Entwicklungszusammenarbeit mag schwieriger geworden sein, weil mit China und Saudi-Arabien Geber auf die Bühne getreten sind, die keine strukturellen Reformen verlangen. Solange Terrorismusbekämpfung und Migrationskontrolle die ausschlaggebenden Motive für die Europäer sind, werden autoritäre Regime wie im Tschad und Niger oder angeschlagene Demokratien wie in Mali stets am längeren Hebel sitzen. Teilweise müssen die Geber aber auch kreativer werden, um schneller und agiler unter gefährlichen Bedingungen Projekte zu finanzieren. Die Idee eines speziellen Fonds der Sahel-Allianz geht in diese Richtung, genauso wie die zivilen Stabilisierungsprojekte des Auswärtigen Amtes.

Die EU sollte die Ausbildungsmission EUTM Mali anpassen. Ausführlichere Lehrgänge können zu einer fundierteren Ausbildung führen. Dafür müsste die EU akzeptieren, dass eine effektive Ausbildung und Reform der malischen Streitkräfte ein langfristiges Engagement verlangen. Die Ausbildung der EU und die bilaterale Ertüchtigung durch die Bundeswehr können überdies als Hebel genutzt werden, um eine stärkere Transparenz und Korruptionsbekämpfung in der Armee einzufordern. Derzeit weigert sich das malische Verteidigungsministerium, offizielle Zahlen über die Größe der Armee und Verteilung nach Dienstgraden bekanntzugeben. Angesichts europäischer Überlegungen, auch in Burkina Faso auszubilden, sind solche Lehren besonders wichtig.

Schließlich sollten die europäischen Regierungen die zarten Pflanzen des Dialogs mit den dschihadistischen Gruppen in Mali respektieren. Die UN-Friedensmission MINUSMA unterstützt in ihren Einsatzgebieten darüber hinaus Konsultationen mit lokalen Gemeinschaften, gerade auch über ethnische Grenzen hinweg. Sie plant, die Präsenz der Mission in der Fläche zu verbreitern. Dafür benötigt sie jedoch schwer verfügbare Hochwertfähigkeiten wie zusätzliche Helikopter. Deutschland könnte hier helfen.



Mehr Selbstbewusstsein gegenüber Partnern

Die beschriebenen Kursänderungen verlangen ein aktiveres Auftreten gegenüber Deutschlands Partnern sowohl in der Region als auch in Europa. Insbesondere Frankreich gegenüber sollte die Bundesregierung mehr Eigenständigkeit entwickeln. Frankreichs Erfahrung, Netzwerke und Interessen in der Sahelzone erzeugen ein strukturelles Ungleichgewicht in der Partnerschaft mit Deutschland. Erst Anfang Januar 2020 überraschte Präsident Emmanuel Macron Berlin mit der Erklärung von Pau, in der von einer „Koalition für den Sahel“ die Rede ist – eine von zahlreichen internationalen Initiativen in der Region. Ein zusätzlicher deutscher Beitrag für MINUSMA könnte es der Bundesregierung auch leichter machen, bei ihrem „Nein“ zur französischen Initiative „Takuba“ für die Ausbildung von Spezialkräften einschließlich Begleitung im Einsatz zu bleiben. Gute Freunde müssen sich auch in die Augen schauen können, wenn sie anderer Meinung sind, und im Zweifel für die eigene Position werben.

Deutschland genießt weiterhin einen recht guten Ruf in der Sahelregion. Es wird Zeit, dieses politische Kapital effektiver einzusetzen.

Dr. Gerrit Kurtz arbeitet als Research Fellow für Krisenprävention und Diplomatie in Afrika bei der DGAP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2020, S. 102-103

Teilen