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29. Aug. 2019

Kriegstreiber Klimawandel

Die Erderwärmung trifft fragile Staaten besonders hart. Sie verschlechtert, was schon im Argen liegt – im schlimmsten Fall bis zum Zusammenbruch

Es sind 1131 Seiten, die der Weltklimarat in seinem Bericht von 2014 über die Auswirkungen des Klimawandels dem Einfluss der Erderwärmung auf Ökosysteme und menschliche Lebensräume widmet. 38 davon beschäftigen sich mit dem Thema Sicherheit, und innerhalb dieses Kapitels nur fünf mit bewaffneten Konflikten und vier mit Migration – einem Thema, dessen Bedeutung in diesem Kontext kaum zu überschätzen ist. Der Bericht erweckt den Eindruck, dass die internationale Sicherheit im Vergleich zu ökologischen und ressourcenbezogenen Belangen des Klimawandels eine untergeordnete Rolle spiele. Schaut man sich die Berichte des US-Verteidigungsministeriums zum Klimawandel an, sieht es genau andersherum aus: Gesellschaftliche und sicherheitspolitische Auswirkungen des Klimawandels stehen ganz oben.

Warum befasst sich das Pentagon mit diesem Thema? Nun: Donald Trump hatte kurz nach seinem Amtsantritt 2017 die Exekutivverordnung 13653 aufgehoben, die sich mit der „Vorbereitung der USA auf die Auswirkungen des Klimawandels“ befasste und im November 2013 von Präsident Obama unterzeichnet worden war. Die Direktive hatte alle Regierungsbehörden dazu angehalten, ihren eigenen Beitrag zum Klimawandel zu erfassen und ihren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Unter Trump verschwand das Wort „Klimawandel“ nach und nach aus dem offiziellen Regierungswortschatz. Fortan vermied man es im Verteidigungsministerium, sich öffentlich zum Thema zu äußern, setzte entsprechende Untersuchungen aber fort.

Das anhaltende Engagement des Pentagons erklärt sich wohl vor allem dadurch, dass die meisten seiner leitenden Beamten den Klimawandel für eine ernstzunehmende Gefahr halten, die eine erhebliche Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA darstellt. Viele von ihnen haben in Asien, Afrika und im Nahen Osten gearbeitet und die Auswirkungen der Erderwärmung selbst miterlebt – insbesondere auf schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen in ­ressourcenarmen Gebieten. Die Lage der eigenen Militärstützpunkte, neuerdings anfällig für Überschwemmungen, Waldbrände und andere Folgen des Klimawandels, ist ein weiterer Grund.

Der Klimawandel als „Bedrohungsmultiplikator“

Wenn amerikanische Militäroffiziere nicht gerade direkt in Kampfhandlungen verwickelt sind, bereiten sie sich auf einen nächsten Krieg vor. Dazu gehört auch die Analyse potenzieller Schlachtfelder und der Geländebeschaffenheit in Gebieten, in denen US-Truppen zum Einsatz kommen könnten. Regionen in Asien, Afrika, im Nahen Osten und selbst in der Arktis werden permanent überwacht, Studien der politischen und gesellschaftlichen Lage sowie der lokalen klimatischen Bedingungen werden durchgeführt.

Erstmals wurde der Klimawandel 2007 als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA wahrgenommen und somit als Phänomen, das die Aufmerksamkeit des Pentagons erforderte. Der Bericht „National Security and the ­Threat of Climate Change“ der Denkfabrik CNA beeinflusste die Militärstrategie des Verteidigungsministeriums nachhaltig. Mit dem sperrigen Wort „Bedrohungsmultiplikator“ wurde ein neuer Begriff in das Vokabular des Pentagons aufgenommen. Dahinter steht die Annahme, dass der Klimawandel zwar keine direkte Ursache für Konflikte und Chaos ist, jedoch ein entscheidender Faktor für innere Konflikte fragiler Gesellschaften bis hin zum kompletten Staatszusammenbruch. „Viele Regierungen in Asien, Afrika und im Nahen Osten sind bereits heute an ihrer Belastungsgrenze angekommen, wenn es darum geht, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen“, heißt es in dem Bericht. „Der Klimawandel wird die Probleme in diesen Regionen verschärfen und das effektive Regieren noch weiter erschweren.“

Erstmals offiziell bestätigt wurde diese Haltung im Juni 2008, als der National Intelligence Council (NIC, ein Zweig der CIA) eine Erklärung mit dem Titel „Auswirkungen des Klimawandels auf die nationale Sicherheit bis 2030“ veröffentlichte. Darin hieß es, „der Klimawandel könnte die innere Stabilität einiger Staaten gefährden“ und zu neuen Konflikten „um den Zugang zu immer knapper werdenden Wasserressourcen“ führen. Dies könne wiederum zu einer ernsten Bedrohung für Amerikas Verbündete werden und möglicherweise auch amerikanische Militärinterventionen erfordern.

Ex-US-Senator Chuck Hagel, zwischen 2013 und 2015 Verteidigungsminister, formulierte dies seinerzeit besonders klar: „Der Klimawandel ist ein ‚Bedrohungsmultiplikator‘, weil er das Potenzial hat, viele der Probleme zu verschärfen, mit denen wir uns bereits heute konfrontiert sehen – von Infektionskrankheiten bis hin zu bewaffneten Aufständen –, und darüber hinaus auch neue Probleme zu schaffen.“ Die Zerstörung durch Wirbelstürme, so Hagel, könne „Instabilität säen“, da Dürren und Ernteausfälle womöglich „Millionen von Menschen in Armut stürzen und Massenmigrationswellen auslösen“. Und General Joseph F. Dunford Jr., Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff und höchster Offizier des Landes, erklärte bei einem Auftritt an der Duke University im November 2018: „Der Klimawandel gehört für mich zu den ­weltweiten ­Konfliktursachen, auf die wir reagieren müssen.“ Das Konzept des Klimawandels als „Bedrohungsmultiplikator“, der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte in Entwicklungsländern verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagons geworden. Je gespaltener und korrupter ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird – also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Massenmigration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland.

Der Klimawandel und der Syrienkonflikt

Als sich etwa der Konflikt in Syrien verschärfte und Migrationsströme nach Europa auslöste, galt der Klimawandel als wichtiger Treiber. Eine extreme Dürre hatte die syrische Landwirtschaft zwischen 2007 und 2010 getroffen und Tausende verarmte Bauern in ohnehin überbevölkerte Städte getrieben. Dort erhielten sie kaum Unterstützung vom Assad-Regime und engagierten sich schlussendlich 2011 in regierungskritischen Protesten. Susan Rice, nationale Sicherheitsberaterin von Barack Obama, gehörte damals zu den vielen US- Führungspersönlichkeiten, die den Klimawandel als Schlüsselfaktor für den Konflikt identifizierten. „In den Jahren vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien“, sagte sie im Oktober 2015, „erlebte dieses Land die schlimmste Dürre seiner Geschichte; Landwirte und ihre Familien zogen massenhaft in die Städte, was die Unruhen verstärkte und dem späteren Konflikt den Weg ebnete.“

In der jüngeren Vergangenheit haben Mitarbeiter des United States Africa Command (Africom) eine vom Klimawandel mitbedingte Dürre in der nord­afrikanischen Sahelzone als Ursache für eine Zunahme der Gewalt und der terroristischen Aktivitäten in der Region ausgemacht. „Veränderte Wetterlagen, steigende Temperaturen und dramatische Veränderungen in der Niederschlagsrate tragen zu Dürre, Hunger, Migration und Rohstoffkonflikten bei“, sagte der Oberbefehlshaber von Africom, General Thomas D. Waldhauser, im Februar 2019 vor dem US-Senat. Wenn Gruppen unter diesen Umständen um Wasser und Land kämpften, könne es zu „gewaltsamen Konflikten kommen“.

Eigenständigkeit der Militärexperten

Aus Sicht des Pentagons hat jede noch so kleine Veränderung in der globalen Sicherheitsarchitektur weitreichende Konsequenzen, da diese jederzeit zu mehr humanitären Operationen im Ausland, etwa nach Stürmen oder Überschwemmungen, führen können oder auch zu neuen Militäreinsätzen beziehungsweise Stabilisierungsoperationen. Die Generalstäbe sind sich bewusst, dass die Anzahl der humanitären und militärischen Operationen, die die Armee gleichzeitig durchführen kann, begrenzt ist. Das gilt besonders, da man sich seit Längerem auf einen potenziellen Konflikt mit Großmächten wie China und Russland vorbereitet. Aus dieser Warte lenkt der Klimawandel den Fokus von den Hauptaufgaben des Militärs auf kleinere, vormals weniger wichtig scheinende Operationen. Noch besorgniserregender ist jedoch die Tatsache, dass sich der Klimawandel verschärfen wird und somit immer mehr Staaten an den Rand des Zusammenbruchs bringen könnte – und dass auch viele zentrale Stützpunkte der US-Armee von den Folgen des Klimawandels betroffen sein könnten.

Als Reaktion auf diese vielfältigen Herausforderungen hat das Verteidigungsministerium längst eine proaktive Haltung eingenommen, um sowohl die künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Bereitschaft der Streitkräfte zu minimieren als auch den eigenen Beitrag zum Klimawandel zu verringern. Um die Anfälligkeit einzelner US-Militärbasen zu bewerten, veranlasste das Pentagon in Kooperation mit dem Energieministerium eine Analyse aller Küstenstützpunkte. Sie ergab, dass viele Stützpunkte durch den Anstieg des Meeresspiegels, Sturmfluten und schwere Überschwemmungen in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Spätere Studien, die alle US-Stützpunkte und alle klimabezogenen Risikofaktoren (einschließlich Waldbränden, starker Winde und anhaltender Dürren) untersuchten, führten zu kontroversen Debatten: Die Trump-Regierung versuchte, Verweise auf das Thema „Klimawandel“ zu streichen.

Trotz aller Bemühungen der US-Regierung, die Diskussion über den Klimawandel einzudämmen, beschäftigen sich hochrangige Militärbeamte weiterhin mit dem Thema. Die jüngsten Ereignisse werden ihre Bedenken weiter verschärft haben. Im September 2018 verursachte der Hurrikan Florence im Marine Corps Base Camp „Lejeune“ in North Carolina einen Schaden von mehr als drei Milliarden Dollar. Einen Monat später tobte Hurrikan Michael im Nordwesten Floridas und zerstörte einen Großteil der Tyndall Air Force Base: 17 F-22-Kampfjets im Wert von jeweils 334 Millionen Dollar wurden außer Gefecht gesetzt. Erst im März richteten schwere Überschwemmungen im Landesinneren in der Offutt Air Force Base, die als Zentrale des Strategic Air Command genutzt wird, wiederum Schäden in Milliardenhöhe an. Es ist unklar, wann (und ob) diese Einrichtungen jemals in ihren ursprünglichen Betriebszustand zurückversetzt werden können.

Gemeinsam gegen den Klimawandel

Im Pentagon war man bereits früh zu dem Schluss gelangt, dass man den Zerfall fragiler Staaten und damit Extremismus und Massenmigration nicht verhindern kann, wenn man diese Länder nicht in die Lage versetzt, besser mit den verheerenden Folgen des Klimawandels klarzukommen. Deshalb forderte das Verteidigungsministerium seine ausländischen Missionen wie Africom dazu auf, zusammen mit lokalen Streitkräften an der Entwicklung von Notfallplänen und an der Verbesserung der örtlichen Ernährungs-, Wasser- und Gesundheitsversorgung zu arbeiten.

Als das Verteidigungsministerium dem US-Kongress 2015 über die „Auswirkungen klimabedingter Risiken auf die nationale Sicherheit“ berichtete, waren diese Bemühungen nach eigenem Bekunden bereits weit fortgeschritten. So habe Africom eng mit den Partnerländern zusammengearbeitet, um „die Planung, Reaktion und Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels zu verbessern“. Unter anderem half Africom in Kooperation mit lokalen Streitkräften und zivilen Gesundheitsbehörden bei der Durchführung kontinentweiter Schulungsworkshops zum Thema Bereitschaft bei Pandemien und Naturkatastrophen. Das Pacific Command (Pacom) arbeitete seinerseits mit regionalen Partnern an verbesserten Katastrophenschutzplänen.

Obwohl es mitunter schwierig ist, die Wirksamkeit dieser Bemühungen zu beurteilen, ist die Bereitschaft des Pentagons deutlich, die Folgen der Erderwärmung durch internationale Partnerschaften einzudämmen. „Der Klimawandel“, heißt es in einem Bericht von 2014, „schafft sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit, dass Nationen zusammenarbeiten, und das Ministerium wird diese durch eine Reihe von Initiativen ergreifen“. Für eine Behörde, die nicht für Transparenz bekannt ist, ist das eine bemerkenswerte Aussage. Sie verdeutlicht die Besorgnis über den Klimawandel und seine potenziell destabilisierenden Folgen.

Mit Donald Trump im Weißen Haus ist es unwahrscheinlich, dass hochrangige Militärs weiter so offen über ihre Bedenken hinsichtlich des Klimawandels sprechen werden. Jedoch hat das Pentagon seine ganz eigenen Analysen entwickelt und Entscheidungen getroffen, die vor allem die Anfälligkeit von Gesellschaften und Institutionen für Klimawandelfolgen in den Blick nehmen und deren Schutz zur höchsten Priorität erklären. Dieser Ansatz verdient es, vom Rest der Welt genauer unter die Lupe genommen zu werden.

Michael T. Klare ist Prof. em. am Hampshire College. Sein Buch „All Hell Breaking Loose: The Pentagon’s Perspective on Climate Change“ erscheint im November.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2019, S. 34-38

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