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01. März 2013

Kommunizieren in Echtzeit

Interview mit Tara Sonenshine, Under Secretary of State for Public Diplomacy

Während der Amtszeit von Hillary Clinton hat das amerikanische Außenministerium seine Nutzung von Sozialen Medien, allen voran Twitter und Facebook, stark ausgebaut. Allein auf Twitter folgen dem State Department heute 1,87 Millionen Menschen auf 308 „accounts“. Welche Erfahrungen hat die amerikanische Diplomatie damit bislang gemacht?

Internationale Politik: Madame Under Secretary, die scheidende US-Außenministerin Hillary Clinton hat sich in ihrer Amtszeit für ein neues Verständnis von Staatskunst im 21. Jahrhundert stark gemacht, das auch „digitale Diplomatie“ und die Nutzung Sozialer Medien, insbesondere Twitter, umfasst. Aber was genau ist „digitale Diplomatie“? Lässt sich amerikanische Außenpolitik in 140 Zeichen erklären?

Tara Sonenshine: Menschen individuell zu erreichen, ist heute Teil davon, wie wir Außenpolitik kommunizieren – unabhängig davon, wie wir sie erreichen, sei es über ihr Mobiltelefon, via Twitter oder Facebook, über Zeitungen, Radio oder im persönlichen Gespräch. Die Sozialen Medien sind in erster Linie ein neues Werkzeug in unserem Werkzeugkasten.

IP: Verändern aber nicht Twitter & Co. die „public diplomacy“, also die außenpolitische Öffentlichkeitsarbeit, grundlegend?

Sonenshine: Nun, den diversen Twitter-Accounts des State Department folgen derzeit fast zwei Millionen Menschen. Alles in allem, USAID eingerechnet, erreichen wir mit rund 1000 Webseiten oder Präsenzen im Bereich der Sozialen Medien fast 23 Millionen Menschen. Wir sind also aktiv, wir spielen mit und verantworten gewissermaßen einen Teil der globalen Konversation. Und dennoch denke ich, dass dies unsere Arbeit eher ergänzt und erweitert, nicht aber traditionelle Formen außenpolitischer Öffentlichkeitsarbeit ersetzt, also die Wege, auf denen wir die Menschen erreichen.

IP: Welche Erfahrungen haben Sie bislang mit „digitaler Diplomatie“ gemacht? Ein Charakteristikum von Twitter ist beispielsweise die Schnelligkeit, ja Unmittelbarkeit, was vielleicht nicht jedem Diplomaten liegt  …

Sonenshine: Man muss unterscheiden zwischen der Formulierung von Politik, die sich weiterhin sehr gründlich vollzieht, und dem Kommunizieren von Politik. Letzteres geht auch über Twitter. Ich habe zum Beispiel schon zweimal globale Frage- und Antwort-Runden für das State Department auf Twitter absolviert, in deren Verlauf ich Fragen der Öffentlichkeit – mit der Hilfe von Übersetzern – in neun Sprachen beantwortet habe, live und direkt. Wenn man mit seiner Politik vertraut ist und weiß, was man zu vermitteln versucht, dann kann das auch schnell gehen. Ich will damit nicht sagen, dass wir Politik aus dem Stegreif machen. Aber wir kommunizieren in Echtzeit und sprechen die Leute dort an, wo sie sind.

IP: Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Unterhält das State Department eine Art Kommandozentrum für Soziale Medien? Gibt es Vorschriften dafür, wer unter welchem Namen tweeten oder posten darf?

Sonenshine: Soziale Medien sind ihrer Natur nach dezentralisierte Medien, also gehört Dezentralisierung zwangsläufig auch für uns dazu. Unsere Botschaften benutzen Facebook und Twitter, die Botschafter oder Missionschefs sind weiterhin die Verantwortlichen, die beim Navigieren in der digitalen Medienlandschaft die Richtung vorgeben. Aber häufig benutzen wir auch bestimmte Sprachregelungen, „talking points“ – und diese werden weiterhin zentral gemanagt. Sie lassen sich durch Soziale Medien verbreiten und verstärken, man kann Echos auslösen, politische Hebel-effekte erzielen und auch Menschen erreichen, die sich traditionell eher nicht für Politik und Zeitgeschehen interessiert haben.

IP: Die Frage danach, wer autorisiert ist, diese neuen Werkzeuge zu benutzen, bringt uns zu dem umstrittenen Tweet der amerikanischen Botschaft in Kairo, in Reaktion auf den Schmähfilm über den Propheten Mohammed. Hier wurde der Eindruck erweckt, auch die Botschaft gehe davon aus, dass Muslime bewusst provoziert würden, was zu erheblichen Protesten führte. Ist der Einsatz von Twitter & Co. ein Risiko, das man getrost eingehen kann?

Sonenshine: Wir haben Tausende und Abertausende Tweets und andere Webprozesse zu verantworten; aber nur ganz wenige Male wurden diese inkorrekt verwandt; ein verschwindend geringer Anteil also, wenn man die gewaltige Reichweite bedenkt. Deshalb hat sich Hillary Clinton für Veränderungen in unserer diplomatischen Kultur eingesetzt, die traditionell eher von Risikoscheu geprägt war. Sie wollte eine Kultur, in der man leichter damit umgeht, die eigene Politik zu vertreten und zu erklären, was wir tun. Dabei darf man nicht vergessen, dass die neuen Medien noch in der Experimentierphase stecken und sich ständig weiterentwickeln. Aber zu einem gewissen Grad haben wir unsere Mitarbeiter ermutigt, die neuesten technologischen Werkzeuge zu verwenden, und nur bei einem winzigen Bruchteil von dem, was seither passiert ist, könnte man davon sprechen, dass das Experiment misslungen ist. Grundsätzlich wäre es verfehlt, denke ich, sich hinter alten Technologien zu verschanzen: Wir wollen da draußen präsent sein, mit Spitzentechnologie und den Kommunikationsmitteln des 21. Jahrhunderts. Es geht um Information, und unsere Prämisse ist: Informationen sind Sauerstoff. Informationen lassen Gesellschaften atmen. Informiert zu sein ist ein Menschenrecht. Wir respektieren die Freiheit, sich zu vernetzen, und dass Menschen wissen wollen, was in ihren Gesellschaften und global vor sich geht.

IP: Auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz hat Anne-Marie Slaughter, die frühere Planungsstabschefin, gesagt, dank Twitter sei sie heute besser informiert als während ihrer Zeit im State Department und den „offiziellen Nachrichten zwölf Stunden voraus“. Nutzen Sie Twitter auch als Informationsquelle? Und handeln Sie auch auf dieser Grundlage?

Sonenshine: Wir beobachten nicht nur täglich aufkommende Trends in den Sozialen Medien – ebenso wie in den traditionellen Printmedien. Vielmehr gehört dies in Krisenzeiten zu den integralen Tätigkeiten unserer Sonderstäbe. Im Operationszentrum und in jedem Krisenstab verfolgt jemand einschlägige Hashtags und wichtige Crowd-Sourcing-Websites. Wir beobachten auch Tweets von Journalisten, die in den jeweiligen Regionen unterwegs sind, um neueste Informa-tionen zu erhalten, und auch aus Sorge um ihre Sicherheit, insbesondere in gefährlichen Krisengebieten.

Ob und wie das US-Außenministerium dann auf Grundlage von Informationen handelt, die aus Sozialen Medien gewonnen werden, hängt natürlich völlig von der Information und dem Ereignis ab. Unsere nächste große Herausforderung besteht wohl darin, herauszufinden, wie wir unsere große, stetig wachsende „Gefolgschaft“ in den Sozialen Medien für positiven Wandel in der Welt einsetzen können. Die vielversprechendsten Gebiete, wo wir in Zusammenarbeit mit USAID Soziale Medien und Crowd-Sourcing einsetzen können, sind humanitäre und Katastrophenhilfe. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 konnte man beobachten, wie stark der Einsatz von Freiwilligen nicht nur beim Spendensammeln für das Rote Kreuz per SMS war, sondern auch bei kollaborativen Online-Projekten, um beispielsweise Karten der Zerstörung anzulegen und die ersten Helfer vor Ort mit besseren Informationen auszustatten. Vor dem Erdbeben gab es schlicht keine brauchbaren Karten von Port-au-Prince und Umgebung, die auf dem neuesten Stand waren. Auf Internet-Plattformen wie Open Street Map und Ushahidi konnten Freiwillige aus aller Welt das ganze von der Katastrophe betroffene Gebiet binnen zwei Wochen kartografieren. Nun fragen wir uns: Wie können wir uns auf „das nächste Haiti“ vorbereiten? Wie können wir die Unterstützung unseres 23 Millionen „Follower“ starken Netzwerks gewinnen, wenn eine befreundete Nation in Not gerät?

IP: Ein Blick auf die „Twitter-Weltkarte“ oder die anderer Sozialer Medien zeigt allerdings, dass es noch große weiße Flächen gibt, zum Beispiel in Afrika oder China. Kritiker weisen darauf hin, dass das Blutvergießen im Osten Kongos so schlimm ist wie das in Syrien, und dass der syrische Bürgerkrieg nur deshalb mehr Aufmerksamkeit erregt, weil die Gewalt durch Tweets oder YouTube-Videos dokumentiert wird. Gibt es eine „digitale Schieflage“ in der amerikanischen Außenpolitik?

Sonenshine: Natürlich existieren in der heutigen Welt noch „digitale Trennlinien“. Es gibt viele Orte, die der traditionelle Journalismus meidet, und solche, in denen kein Zugang zum Internet gewährleistet ist. Ich vertrete den US-Außenminister im Broadcasting Board of Governors, dem Aufsichtsgremium, das über den von der US-Regierung betriebenen oder geförderten internationalen Rundfunk wacht. „Voice of America“ gelingt es tatsächlich, aus, zu und innerhalb von Teilen Afrikas zu berichten, die „twitterfreie Zone“ sind und wo Radio weiterhin das Leitmedium ist. Aber da sich mobile Kommunikationstechnologie immer weiter ausbreiten und immer allgegenwärtiger sein wird, werden sich weitere Möglichkeiten für SMS-Nachrichten und für andere außenpolitische Kommunikationswege eröffnen. Glücklicherweise müssen wir uns ja bei der Vermittlung der US-Außenpolitik nicht ausschließlich auf Soziale Medien verlassen. Unsere großartigste Ressource bleiben Tausende Angehörige unseres Auswärtigen Dienstes, die vertraut sind mit den jeweiligen Gegebenheiten in den Ländern, in denen sie arbeiten und leben. Und sie verwenden sowohl traditionelle als auch neue Medien.

IP: Mehr und mehr Staatsmänner oder hochrangige Diplomaten benutzen Twitter, darunter auch der venezolanische Präsident Hugo Chávez und der iranische Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei. Können Sie sich vorstellen, dass der amerikanische Präsident oder der US-Außenminister eines Tages direkt mit ihnen via Twitter in Kontakt tritt?

Sonenshine: Alles ist möglich, aber im Moment betrachten wir Soziale Medien eher als Plattformen für Konversationen mit Bürgern aus aller Welt. Wir unterhalten ja schon vielfältige Kommunikationskanäle zu anderen Staats- und Regierungschefs; was Soziale Medien zu so einem fantastischen Werkzeug für außenpolitische Kommunikation macht, ist, dass wir ein viel größeres Publikum erreichen können – und gerade solche Menschen, denen eher wenig Angebote traditioneller Medien zur Verfügung stehen. Hinzu kommt natürlich, dass sie interaktiv sind, sodass wir Personen nach Feedback und Meinungen fragen können, die noch nie mit Amerikanern oder unserer Regierung in Berührung gekommen sind.

Die Fragen stellten Henning Hoff  und Rachel Herp Tausendfreund.

Tara D. Sonenshine ist seit Mai 2012 Under Secretary for Public Diplomacy and Public Affairs im State Department. Zuvor war sie Vizepräsidentin des United States Institute of Peace (USIP).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2013, S. 50-53

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