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04. Juni 2015

„Aktion Geschäftsfreund“

Wie Deutschland das israelische Nuklearwaffenprogramm finanziert hat

Mit den Erkenntnissen über die Umsetzung der streng geheimen „Aktion Geschäftsfreund“ ist die letzte bisher noch offene Lücke in den Informationen über die deutsch-israelischen Beziehungen geschlossen. Die deutsche Finanzhilfe zur Entwicklung des israelischen Nuklearwaffenpotenzials hat dem Staat der Juden eine Überlebensgarantie besonderer Art gegeben, die den Urhebern der „Aktion Geschäftsfreund“ zur Ehre gereicht.

Die Existenz eines israelischen Nuklearwaffenpotenzials ist schon lange kein Geheimnis mehr. Daran ändern auch die Tatsachen nichts, dass Israel jede Diskussion dieses Sachverhalts verweigert, sich weiterhin international auf eine Rhetorik „absichtsvoller Zweideutigkeit“ zurückzieht, und im Inneren jegliche Erwähnung eines eigenen Nuklearwaffenprogramms durch die Militärzensur unter Strafe stellt. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sind alle Geheimnisse des israelischen Nuklearprogramms öffentlich geworden. Alle – bis auf eines: wer das Programm finanziert hat. Doch auch dieses letzte nukleare Geheimnis Israels wird nun gelüftet. Das Land, das die nukleare Bewaffnung Israels maßgeblich finanzierte, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Bundesrepublik Deutschland. Dass Shimon Peres, der ehemalige Präsident Israels, dies jüngst erneut bestritten hat, ist ohne Bedeutung. Noch immer gilt für die deutsch-israelische Zusammenarbeit im Bereich nuklearer Waffen das Gebot strengster Geheimhaltung. Im Übrigen unterliegt auch jeder israelische Spitzenpolitiker im Umgang mit nuklearen Informationen noch immer der Militärzensur.

Israels nukleare Geschichte begann 1952 mit der Gründung der israelischen Atomenergiekommission. Im Juli 1955 unterschrieb Israel einen von den USA angebotenen Vertrag, im Rahmen des Programms „Atome für den Frieden“ einen kleinen Forschungsreaktor zur friedlichen Nutzung der Nuklearenergie zu erwerben. Doch schon zu dieser Zeit hatten Premierminister Ben Gurion, dessen wissenschaftlicher Berater Ernst David Bergmann und der Generaldirektor im Verteidigungsministerium Shimon Peres diverse Hintergedanken. Im November 1956 fragte Peres den französischen Verteidigungsminister Maurice Bourgès-Maunoury: „Was halten Sie davon, wenn sich Israel ein eigenes Vergeltungspotenzial schaffen würde?“ Ein Jahr später unterzeichnete Peres mit Vertretern der sozialistischen Regierung Mollet drei geheime Verträge. Im ersten Vertrag verpflichtete sich Frankreich, Israel einen 24-Megawatt-Schwerwasserreaktor zu liefern und 385 Tonnen Natururan auszuleihen. Der zweite Vertrag, den Peres direkt mit dem französischen Verteidigungsminister aushandelte, sah die Zusammenarbeit bei der Forschung und Herstellung von Nuklearwaffen vor. Der dritte Vertrag regelte insbesondere den Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage zur Plutoniumgewinnung.

Der Bau des Reaktors begann um die Jahreswende 1957/58 nahe des Ortes Dimona in der Negev-Wüste. Ein Jahr später wurden die Erdarbeiten für die Wiederaufarbeitungsanlage in Gang gesetzt. 1964 war der Reaktor fertiggestellt, ein Jahr später die Wiederaufarbeitungsanlage. Ende 1966 hatten die israelischen Ingenieure den nuklearen Bombenbau im Griff. Zu Beginn des Sechstagekriegs (1967) besaß Israel zwei zündfähige Gefechtsköpfe, beim Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges (1973) waren es zehn bis 20.

Natürlich lief all dies unter strengster Geheimhaltung ab. Doch nicht lange. 1960 wurde die Anlage in Dimona durch die strategische Aufklärung der USA – mittels Satelliten und U2-Flugzeugen – enttarnt. Überdies forderte der französische Präsident Charles de Gaulle, dessen Land das Projekt erst möglich gemacht hatte, dass Israel unmissverständlich den ausschließlich zivilen Charakter der Anlage öffentlich erklären müsse. So geschah es dann auch. Ende 1960 gab Ben Gurion eine entsprechende Erklärung ab: Der Reaktor diene ausschließlich der zivilen Nutzung der Nuklearenergie. Im Übrigen baue man im Umfeld des Reaktors ein wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung von Trockenzonen, das später auch ausländischen Studenten zugänglich sein sollte.

Mit dieser offensichtlichen Lüge hatte die israelische Regierung den öffentlichen Druck zur Begründung der Bauarbeiten in Dimona zunächst zwar vordergründig aufgefangen, vielerorts im internationalen Umfeld blieb man jedoch misstrauisch. Da half auch die scheinbare Präzisierung der Anlage von Dimona als einer „Textilfabrik“ nichts. Im Gegenteil. In den USA kursierten alsbald Nachrichten über die wahre Zweckbestimmung der Anlage von Dimona.

Trotz weitverbreiteten Misstrauens konnte die israelische Regierung die Legende von Dimona als einer zivilen Anlage jahrelang aufrechterhalten. Belastbare Beweise für das Gegenteil gab es nicht. Dafür sorgte insbesondere ein von Peres 1957 gegründeter, nur für den Schutz des militärischen Nuklearprogramms zuständiger Geheimdienst – LAKAM (ein hebräisches Akronym). Geleitet wurde LAKAM von Benyamin Blumberg. Zunächst bestand die supergeheime Truppe nur aus einer Handvoll Mitarbeitern. Nicht einmal der auch im Inland allgegenwärtige Auslandsgeheimdienst Mossad wurde über den Aufbau des LAKAM informiert. Isser Harel, der damalige Chef des Mossad, beklagte später: „LAKAM wurde hinter meinem Rücken und ohne mein Wissen aufgebaut.“ Doch Blumberg und sein LAKAM waren erfolgreich – bis 1986.

Im Oktober 1986 veröffentlichte die Sunday Times die Aussagen von Mordechai Vanunu, einem israelischen Techniker, der von 1976 bis 1985 in Dimona gearbeitet hatte. Nach seinen Aussagen produzierte Israel im Jahr 40 Kilogramm Plutonium, ausreichend für acht bis zehn Bomben. Die Angaben Vanunus waren glaubwürdig, nicht zuletzt, weil er das Innenleben der Anlage von Dimona bis hin zum Modell einer Wasserstoffbombe durch eine Vielzahl von Fotografien unwiderlegbar dokumentiert hatte. Nun wurde klar, dass „Dimona“ nicht nur die Bezeichnung für einen Schwerwasserreaktor war, sondern neun weitere Gebäude umfasste, von denen zumindest eines sechs Stockwerke in die Tiefe gebaut worden war und in dem sich das Kernstück der Anlage, die Wiederaufarbeitungsanlage zur Produktion von Plutonium, befand. Dimona war eine komplette Nuklearwaffenfabrik; von außen benötigte sie nur Natururan und Schweres Wasser für den Betrieb des Reaktors.

Nach Vanunus Aussagen war nichts mehr wie zuvor. Zur Debatte stand nun nicht mehr die Frage des „Ob“, sondern des „Wieviel“. Legt man heute die Darstellung Vanunus über die Produktionskapazität der Anlage von Dimona zugrunde, dann verfügt Israel derzeit über mindestens 200 strategische Nuklearwaffen der Hiroshima/Nagasaki-Kategorie (15 Kilotonnen). Hinzu kommen wahrscheinlich noch mehr als 100 nukleare Artilleriegranaten, möglicherweise in der besonderen Qualität von Neutronenwaffen. Ob Israel über Wasserstoffbomben verfügt, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen. Fest steht nur, dass Israel fast alle Voraussetzungen, wie die Produktion von Tritium und Deuterium, dafür geschaffen hat.

Eine Frage zum israelischen Nuklearprogramm wurde jedoch auch nach dem von Vanunu ausgelösten Gau nicht gestellt. Wie konnte ein damals bettelarmes Land wie Israel eine Anlage wie Dimona, in der bis zu 2700 Personen eine Nuklearwaffenfabrik aufbauten und betrieben, finanzieren? Die Frage wurde nicht gestellt, weil sie längst als beantwortet galt. Die Regierung Ben Gurion hatte bereits Anfang der sechziger Jahre, als es offiziell nur um die zivile Nutzung der Nuklearenergie durch den Reaktor in Dimona gegangen war, den vielfältigen Kritikern verbindlich zugesagt, dass für das Projekt keine Haushaltsmittel in Anspruch genommen werden würden. Die Finanzierung würde über internationale Geldgeber sichergestellt werden. Die Verantwortung hierfür lag ausschließlich bei Peres: „So musste ich schließlich auch noch ‚nebenher‘ Geld für den Reaktor auftreiben. Wir starteten eine vertrauliche Spendenaktion, die eine Summe von mehr als 40 Millionen Dollar erbrachte, was die Hälfte der Kosten für den Reaktor und eine damals recht beträchtliche Summe bedeutet.“

Diese Aussage von Peres ist nicht nur der einzige verfügbare quantitative Hinweis auf internationale Geldgeber; sie wirft auch die Frage auf, wer die andere Hälfte des Reaktors bezahlt hat. Und wer bezahlte den gesamten Dimona-Komplex, der ja weit mehr enthielt als einen Reaktor und folglich um ein Vielfaches teurer gewesen sein muss?

Es gibt in der einschlägigen Literatur bis heute nur einen einzigen Hinweis auf eine konkrete Fremdfinanzierung des israelischen Nuklearwaffenprogramms über die von Peres gesammelten 40 Millionen Dollar hinaus. Als in den Jahren 1962/63 die Frage der deutsch-israelischen Beziehungen wieder einmal hohe Wellen schlug, deutete Ben Gurion anlässlich eines Hintergrundgesprächs mit Herausgebern israelischer Tageszeitungen am 31. März 1963 an, dass eine Konfrontation mit der Regierung Adenauer die Entwicklung einer Abschreckungswaffe stören könne und dass man deren Bedeutung für die Sicherheit Israels und die Vermeidung kommender Kriege gar nicht hoch genug einschätzen könne.

Dieser Hinweis war nicht nur unmissverständlich, er entsprach auch der damals Ben Gurion wohlvertrauten Realität: Die Bundesrepublik finanzierte seit 1961 das israelische Nuklearwaffenprogramm, getarnt als Beitrag „zur Entwicklung des Negev“, einem Steckenpferd Ben Gurions seit den Tagen der Staatsgründung.

Wie aber konnte es dazu kommen?

Am 14. März 1960 trafen sich Adenauer und Ben Gurion im New Yorker Hotel Waldorf Astoria. Dabei einigten sich die beiden Regierungschefs, dass die Bundesrepublik Israel mit einem über zehn Jahre laufenden Kredit von insgesamt 500 Millionen Dollar – damals zwei Milliarden DM – bei der „Erschließung des Negev“ behilflich sein solle. Zwar gab es angesichts der Tatsache, dass die beiden Wortprotokolle der teilnehmenden Dolmetscher unterschiedliche Beträge über das tatsächlich Vereinbarte auswiesen, lange Zeit intensive, teilweise auch heftige Diskussionen über den Umfang der deutschen Verpflichtung; schließlich einigte man sich jedoch auf die oben genannten Zahlen.

Umgesetzt wurde die Absprache, die ja kein Abkommen im technischen Sinn war und daher weder der Einschaltung des Bundestags noch des Kabinetts bedurfte, durch die streng geheime „Aktion Geschäftsfreund“. Wie Niels Hansen, jüngst verstorbener ehemaliger Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt und langjähriger deutscher Botschafter in Israel, in seinem faktenreichen Buch „Aus dem Schatten der Katastrophe“ schrieb, wurden im Dezember 1961 zwischen dem israelischen Geschäftsträger in Deutschland, Felix Elieser Shinnar, und Rolf Lahr, einem der Staatssekretäre im Auswärtigen Amt, die notwendigen Absprachen konkretisiert. Die halbjährlich neu auszuhandelnden zinsverbilligten Darlehen sollten aus dem Haushaltstitel „Förderung von Entwicklungsländern durch Gewährung bilateraler Kapitalhilfe“ bedient werden. Die Abwicklung sollte über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erfolgen. Als Verwendungszweck wurden zunächst pauschal „Industrie- bzw. Infrastrukturmaßnahmen“ genannt. Die Nettoverzinsung sollte durchschnittlich 3,6 Prozent betragen.

Diese formalen Bedingungen entsprachen zwar den üblichen Usancen derartiger Abmachungen über Kapitalhilfe für Entwicklungsländer; die tatsächliche Umsetzung der „Aktion Geschäftsfreund“ erfolgte jedoch nach anderen – besser gesagt, gar keinen – Regeln. So hat nach den Worten eines deutschen Verantwortlichen die KfW „anders als in allen anderen Fällen, in denen sie auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung tätig wird, die Verwendung der Israel zur Verfügung gestellten Mittel niemals geprüft, … es haben niemals Besprechungen mit ihrer israelischen Partnerin Industrial Development Bank of Israel stattgefunden“. Zwar gibt Shinnar an, man habe die KfW über die Verwendung der Gelder „in regelmäßigen Zeitabständen ... Bericht zu erstatten“ gehabt, doch war das eine bloße Formalität. Dementsprechend lauteten die Angaben über die Zweckbestimmung der Kredite auch nur lapidar „Entwicklung des Negev“, „Textilfabrik“ oder „atomar betriebene Meerwasserentsalzungsanlage im Negev“. All diese konkret benannten Projekte, für deren Geheimhaltung es eigentlich keinen Grund hätte geben dürfen, wurden jedoch nachweislich nie realisiert. Das Geld floss dennoch.

Vor diesem Hintergrund unüblichen Geschäftsgebarens überrascht es nicht, dass die KfW sich bis heute standhaft weigert, die „streng geheimen“ Dokumente über Zahlungen an Israel im Kontext der „Aktion Geschäftsfreund“ herauszugeben. Doch für die Lösung der Frage, was aus den Überweisungen im Zuge der „Aktion Geschäftsfreund" geworden ist, spielt das keine allzu große Rolle. Wie Hansen auf der Basis der Akten des Auswärtigen Amtes kommentiert, liefen die Zahlungen im Rahmen der „Aktion Geschäftsfreund“, die inzwischen von zehn auf zwölf Jahre gestreckt worden waren, bis 1973. Insgesamt wurden etwas mehr als zwei Milliarden DM in Erfüllung der Absprachen im Waldorf Astoria überwiesen. Die Konditionen für Freijahre, Zins und Tilgung wurden hierbei über die Jahre mehrfach geändert – letztmalig 1989 auf eine Laufzeit von 30 Jahren, zehn Freijahren und 2 Prozent Zinsen.

Ein starkes Indiz dafür, dass es bei der „Aktion Geschäftsfreund“ um den Aufbau von Dimona ging, ist die Tatsache, dass in der israelischen Rechtfertigungsrhetorik für die Anlage exakt dieselben Formulierungen verwendet wurden wie die genannten Verwendungszwecke der deutschen Verantwortlichen aus dem Auswärtigen Amt. Wie Dan Ravid und Yossi Melman in ihrem Buch „Spies Against Armageddon“ berichten, erklärte LAKAM-Chef Blumberg, der für die umfassende Abschirmung von Dimona zuständig war, immer und überall, wo es die gewaltigen Bodenbewegungen bei Beersheba zu begründen galt, es handle sich um den Bau einer riesigen Textilfabrik. Wahlweise, aber ungern verwies er auch auf eine Meerwasserentsalzungsanlage; dabei war ihm durchaus klar, wie unsinnig diese Aussage angesichts der Tatsache war, dass Meerwasserentsalzungsanlagen üblicherweise und aus gutem Grund an der Küste gebaut werden. Offenkundig jedoch hatte diesbezüglich das Faible Ben Gurions für eine in der Wüste gebaute Meerwasserentsalzungsanlage seine Spuren hinterlassen.

Es kann daher kein Zweifel bestehen: Deutsche Kreditgeber und israelische Kreditnehmer benutzten für die „Aktion Geschäftsfreund“ dieselben Zweckbestimmungen – „Entwicklung des Negev“, „Textilfabrik“, „Meerwasserentsalzungsanlage“. Mit anderen Worten: Das deutsche Geld aus der „Aktion Geschäftsfreund“ ging unzweideutig und direkt in das Projekt Dimona, d.h. in die Finanzierung einer Nuklearwaffenfabrik. Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass beide Seiten dasselbe Wissen über die tatsächliche Verwendung der transferierten Mittel hatten. Zwar sprechen die Umstände der streng geheimen „Aktion Geschäftsfreund“ dafür, dass die involvierten deutschen Politiker und insbesondere die Beamten des Auswärtigen Amtes von der Verwendung der Mittel für den Bau einer Nuklearwaffenfabrik wussten; beweisen lässt sich dies allerdings bei der gegenwärtigen Aktenlage nicht.

Was die Nuklearwaffenfabrik Dimona – unabhängig von den tatsächlich überwiesenen zwei Milliarden DM (500 Millionen Dollar) – gekostet hat, ist unbekannt. In der Literatur gibt es nur Schätzungen, die sich überwiegend zwischen 150 und 300 Millionen Dollar bewegen. Fest steht nur, dass Ben Gurion offensichtlich keinerlei Vorstellung von den Kosten der Anlage in Dimona hatte. Peres hielt ihn wohl absichtsvoll darüber im Unklaren. So kam es, dass Peres auf die Frage Ben Gurions nach den Kosten von Dimona Anfang der sechziger Jahre einen Betrag von 17,5 Millionen Dollar nannte, obwohl die wirklichen Kosten zu diesem frühen Zeitpunkt bereits 175 Millionen Dollar betrugen. Die Sache ging fast schief. Als der ebenfalls anwesende, sachkundige Amos de Shalit begann, Peres darauf hinzuweisen, dass er wohl eine Null übersehen habe, erhielt er unter dem Tisch einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein – und beendete seinen Versuch der Richtigstellung umgehend. Die tatsächlichen Kosten der Anlage in Dimona lassen sich daher gegenwärtig nicht beziffern – zumindest so lange nicht, bis die französische Regierung, die ja wesentliche Teile der Anlage (insbesondere den Reaktor und die Wiederaufarbeitungsanlage) kostenpflichtig geliefert hat, ihre Rechnungen offen legt. Bis heute spricht jedenfalls alles dafür, dass die Kredite der „Aktion Geschäftsfreund“ für die Finanzierung der Nuklearfabrik ausgereicht haben.

Aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Immer wieder im Verlauf der Abwicklung der „Aktion Geschäftsfreund“ fragten die Israeli nach, ob man die Kredite nicht in bedingungslose Spenden, „grants“, umwandeln könne. Doch diese Versuche scheiterten. Nicht nur, weil eine derartige Aktion in Deutschland parlamentarischer Zustimmung bedurft hätte und damit auch die von den Israeli als unabdingbar betrachtete Geheimhaltung unmöglich geworden wäre. Hinzu kam, dass ihnen der deutsche Verhandler Kurt Birrenbach 1965 vorrechnete, „dass eine langfristige Anleihe mit niedrigem Zinssatz im Endeffekt einem ‚grant’ wirtschaftlich sehr nahe kommt“. Daraus folgt angesichts der extrem günstigen finanziellen Konditionen der „Aktion Geschäftsfreund“ (zuletzt 30 Jahre Laufzeit bei 2 Prozent Zins), dass Deutschland die israelische Nuklearwaffenentwicklung nicht nur im Wege der Kreditvergabe finanziert, sondern – intelligentes Geld-, Kredit- und Zinsmanagement der Israeli unterstellt – auch weitgehend faktisch bezahlt hat. Der gesamte Kreditrahmen für die „Aktion Geschäftsfreund“ lag – umgerechnet auf das gegenwärtige Preisniveau – bei ca. fünf  Milliarden €. Davon verwandelten sich bei strenger wirtschaftlicher Betrachtung ca. vier Milliarden € in Spenden.

Zwar endete die geheime „Aktion Geschäftsfreund“ im Jahr 1973 mit der Erfüllung der Absprachen aus dem Waldorf Astoria, die israelische Seite wollte die „Aktion Geschäftsfreund“ jedoch als dauerhaften Ausdruck großzügiger und zugleich bedingungsloser faktischer Budgethilfen verstanden wissen und formulierte entsprechende finanzielle Forderungen. Die deutsche Seite konnte und wollte sich diese Sicht der Dinge nicht zu eigen machen. Sie konzedierte aber als Anschluss an die „Aktion Geschäftsfreund“ nunmehr offen ausgewiesene Kredite zu den üblichen großzügigen Bedingungen (30 Jahre Laufzeit, 2 Prozent Zinsen) von jährlich 140 Millionen DM. Auch diese Zahlungen erfolgten nach pauschalen Zweckbestimmungen ohne Kontrollen bzw. Einzelnachweise über die verwendeten Gelder und erstreckten sich über fast drei Jahrzehnte. Insgesamt hat Israel bis Ende 1998 auf der Grundlage dieser Vereinbarung Kredite zu Vorzugskonditionen von 4,5 Milliarden DM erhalten, was einem Spendenanteil von rund 3,5 Milliarden DM entspricht.

Man kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Thematik der Finanzierung des israelischen Nuklearwaffenpotenzials nicht umfassend darstellen, ohne einen israelischen Zeitungsartikel zu erwähnen, in dem zum ersten und bisher einzigen Mal ein prominenter deutscher Politiker direkt mit der Finanzierung der israelischen Nuklearwaffen in Verbindung gebracht wird. Es handelt sich um einen von Amir Oren in der Haaretz vom 19. Januar 1996 verfassten Artikel über „die deutsche Kolonie in Dimona“. Dort wird über einen „vergessenen israelischen Roman“ aus den sechziger Jahren berichtet, der wegen vielfältiger Verwendung von Pseudonymen für Verfasser und handelnde Personen damals offenbar dem Zensor entgangen war. Die Entschlüsselung ist jedoch nicht allzu schwierig. Die zentrale Aussage des Artikels ist die Behauptung, der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Strauß habe 500 Millionen DM zur Finanzierung des Reaktors in Dimona zur Verfügung gestellt. Das Geld habe er unautorisiert einem Reptilienfonds der deutschen Regierung entnommen, wofür er später zum Rücktritt gezwungen worden sei.

Für diese Behauptungen gibt es bis heute keine verwertbaren Belege, weder im Nachlass von Strauß noch in den bisherigen Veröffentlichungen von Peres, der ja der allein zuständige Ansprechpartner für nukleare Fragen auf israelischer Seite war. Richtig dürfte allerdings sein, dass Strauß nicht nur die deutsche „Rüstungshilfe“ an Israel betrieb, sondern auch die Anfänge der „Aktion Geschäftsfreund“ mitgestaltet hatte. Dies gilt insbesondere für die Vorbereitung der Verhandlungsposition für Adenauer im Hinblick auf das Gespräch im Waldorf Astoria. Peres, der ja ab Ende der fünfziger Jahre mehrfach pro Jahr in Deutschland war, traf sich praktisch nur mit Strauß. Das erste Gespräch, über das Inge Deutschkron in ihrem Buch „Israel und die Deutschen“ berichtet, und das fünf Stunden gedauert haben soll, fand im Sommer 1957 in Bonn statt. Aus dem zweiten Gespräch im Dezember 1957 in Strauß‘ Privathaus in Rott am Inn ist eine bemerkenswerte Formulierung überliefert, mit der Peres gegenüber dem deutschen Journalisten Rolf Vogel den Inhalt des Treffens mit Strauß wiedergab: „Deutschland unternahm im weiteren, umfassenden Sinne eine Wiedergutmachung an Israel, d.h. es versuchte dazu beizutragen, Israel gegen die Gefahren der Zukunft zu schützen.“

Darüber hinaus wurden Aufzeichnungen beidseitig absichtsvoll unterlassen. Von den wiederholten Aufenthalten Peres in Deutschland erfuhr das Auswärtige Amt nur auf dem Weg der Visaerteilungen. Hansen schreibt hierzu: „Strauß wurde deutscherseits zum entscheidenden Promotor der Verteidigungshilfe.“ In diesen Kontext gehören möglicherweise auch die von Strauß mehrfach geäußerten Hinweise, es gebe eben Dinge, die man erst in der Zukunft offenlegen und zur Diskussion stellen könne.

Obgleich die Ursprünge der Meldung über die Finanzierung von Dimona durch Strauß von vergleichsweise obskurer Provenienz sind, ist die Story nicht ohne Folgen geblieben. Sie hat für die Vermutung neue Nahrung geliefert, dass Strauß, dessen obsessive Beziehung zu Nuklearwaffen ja hinreichend dokumentiert ist, die Ausrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen über den Umweg nach Israel realisieren wollte. Zu diesem Zweck habe er über ein deutsch-israelisches Forschungsprogramm deutsche Physiker nach Israel vermittelt, die dort das Handwerk des „Nuklearwaffenbaus“ erlernen sollten. Doch für diesen „Plan“ von Strauß gibt es nirgendwo Belege.

Mit den Erkenntnissen über die Umsetzung der streng geheimen „Aktion Geschäftsfreund“ ist die letzte bisher noch offene Lücke in den Informationen über die deutsch-israelischen Beziehungen geschlossen. Dass dies im Jahr der 50. Wiederkehr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen möglich wurde, ist Zufall, erfüllt aber doch mit Genugtuung. Die deutsche Finanzhilfe zur Entwicklung des israelischen Nuklearwaffenpotenzials hat dem Staat der Juden eine Überlebensgarantie besonderer Art gegeben, die den Urhebern der „Aktion Geschäftsfreund“ zur Ehre gereicht.

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